Donnerstag, 31. März 2011

Vor 35 Jahren: So gut waren seine Pferde

Eigentlich wollte ich ja heute, an diesem regnerischen Nachmittag, nur ein wenig aufräumen und meine Bücherregale vom winterlichen Staub befreien. Aus diesem guten Vorsatz wurde aber nur wenig, denn schon nach ein paar Minuten, in denen ich immerhin meine Alben des Rennsports und die diversen von meinem Patenonkel geerbten Jahresrennkalender sortiert habe, fiel mir ein älteres Buch in die Hände, das ich einem glücklichen eBay-Moment verdanke:


Fritz Drechslers Erinnerungen, die 1975 unter dem schönen und für seinen Verfasser typisch galanten Titel "So gut waren meine Pferde" veröffentlicht wurden...


Prima Lesestoff!
Warum schreiben Jockeys eigentlich heute keine Bücher mehr?
  
Keine zwei Minuten später hatte ich mich schon festgelesen und war wieder auf dem besten Weg, in eine Galoppsportvergangenheit abzutauchen, die ich so auch nur aus der Kinderwagenperspektive miterlebt habe. Spannend ist die Lektüre trotzdem - oder vielleicht gerade deshalb, weil es den Erzählungen des inzwischen auch schon auf den 80. Geburtstag zusteuernden ehemaligen Spitzenjockeys Fritz Drechsler mühelos gelingt, anschaulich Rennereignisse und Erlebnisse der Vergangenheit zum Leben zu erwecken. 


In Anbindung an meinen leider (zumindest für heute) gescheiterten Frühjahrsputz gibt es also einen Text, den ich vor exakt einem halben Jahr geschrieben habe, als sich Fritz Drechslers Karriereende im Rennsattel zum 35. Mal rundete.




Es war einmal vor 35 Jahren

Heute vor 35 Jahren, am 31. Oktober 1975, wurde auf der Galopprennbahn in Köln-Weidenpesch so gegen 15.00 Uhr das Willi-Ostermann-Gedächtnisrennen entschieden. Der Sieger dieses Ausgleichs II, dessen Jockey Manfred Kosman gemeinsam mit Trainer Theo Grieper und den Besitzern vom Gestüt Moritzberg die Ehrenpreise aus der Hand des Festkomitees des Kölner Karnevals entgegennehmen durfte, hieß Lord Byron. Das eigentlich Denkwürdige an jenem Rennen ereignete sich aber ausnahmsweise nicht auf dem Siegerpodest, sondern in dem Moment, in dem ein anderer Jockey, der mit seinem Pferd, der vierjährigen Röttgenerin Wait and Take, deutlich später als Lord Byron ins Ziel gekommen war, nach dem Zurückwiegen in der Jockeystube seinen Dress auszog. In jenem Moment nämlich endete eine große Jockeykarriere – Fritz Drechsler, von vielen als Gentleman unter den deutschen Reitern bezeichnet, hatte sein allerletztes Rennen bestritten.

Gab es außer für Lord Byron auch Applaus für den Reiter von Wait and Take, auch wenn diese weit hinter dem Sieger nur als vierzehntes von neunzehn Pferden die Ziellinie passiert hatte? War dem Publikum an jenem Tag in Köln überhaupt bewusst, dass es Zeuge eines besonderen Rennens geworden war und dass sie Fritz Drechsler, der lange Jahre genau auf dieser Rennbahn als Stalljockey von Heinz Jentzsch tätig gewesen war, nie wieder im Sattel erleben würden? Wurde eine Rede gehalten? Gab es eine Abschiedszeremonie im Kollegenkreis? Oder geschah dieser Rücktritt vom aktiven Jockeyleben ganz heimlich, still und leise?

Die Quellen, die ich zu Rate ziehen konnte, geben darüber leider nichts her. Es dürfte aber wohl davon auszugehen sein, dass ein Mann, der beim Publikum und im Kollegenkreis gleichermaßen sehr beliebt war, nicht einfach so sang- und klanglos verschwand, nachdem er zum letzten Mal seine Rennstiefel ausgezogen hatte, denn dazu hatte der damals 52 Jahre alte Fritz Drechsler, der 1938 in München seine Jockeylehre begonnen und nach dem Zweiten Weltkrieg eine bemerkenswerte Karriere erlebt hatte, seit Jahrzehnten viel zu sehr zum Inventar gehört.

Tritt ein Sportler vom aktiven Wettkampf zurück, werden ja gerne mit jeder Menge Zahlen seine Glanztaten gewürdigt - manchmal werden sie auch auf bloße Zahlen reduziert. Auch Fritz Drechsler hat im Rennsattel wahrlich viele Erfolge erlebt. Allein acht Jockeychampionate konnte er, der ja in späteren Jahren als Stalljockey bei Heinz Jentzsch, dem Dauerchampion der deutschen Galopprenntrainer, auch eine sehr günstige Ausgangsposition hatte, für sich verbuchen. Sieben dieser Championate errang er in den Jahren 1968 bis 1974 aber in einer Reihe – und das schafft man ganz sicher nicht ohne eine gehörige Portion Fleiß, taktisches Gespür und überragendes Reittalent. Auch wenn es 1975 in seinem letzten aktiven Jahr, mit einem weiteren Championat sehr deutlich nicht mehr klappte, war es doch trotz „nur“ neunundzwanzig Siegen eine erfolgreiche Saison gewesen, denn immerhin hatte Fritz Drechsler am 13. April 1975 mit Antwerpen aus dem Gestüt Röttgen in Köln seinen 1500. Jockeysieg feiern können.

Liest man zwischen den Zeilen, wird deutlich, dass der Rücktritt von der aktiven Karriere wohl eigentlich auch schon früher geplant gewesen war. Inzwischen hatte auch Joan Pall das Amt des Stalljockeys bei Heinz Jentzsch von Fritz Drechsler geerbt. Damals hatte es eine Weile lang Pläne gegeben, die angestammte Kölner Rennbahn in Weidenpesch durch ein völlig neues Hippodrom in Worringen zu ersetzen. Dort hatte man Fritz Drechsler Boxen für einen Start in die angestrebte Trainerkarriere versprochen, doch als sich die ehrgeizigen Pläne zerschlugen, stand er zunächst einmal ohne Perspektive da. Nach eigener Bekundung wäre Fritz Drechsler, der aus München stammte, gerne in seine Heimatstadt zurückgekehrt, fand aber dort keinen freien Stall, in dem er hätte trainieren können. Also ritt er eben noch ein wenig weiter und wartete darauf, dass sich anderswo eine neue Option auftat.

So ritt er während der wohl eher unfreiwilligen Wartezeit bei seinem letzten Jubiläumserfolg und auch bei seinem allerletzten Einsatz ein Pferd des Gestüts Röttgen, was insofern sehr passend erscheint als dass es gerade diese Zuchtstätte war, mit deren Pferden Fritz Drechslers Aufstieg als Jockey 1951 nach einer Weile in Waldfrieder Diensten begonnen hatte. In seinen Erinnerungen an jene Zeit, wie sie sich im Buch „Laufen muss der Bagge“ von Traute König finden, äußerte er sich auch Jahrzehnte später noch begeistert über die Zeit in Röttgen und lobt insbesondere den damaligen Gestütsleiter Graf Lehndorff, zu dem er ein zwar äußerst respektvoll-bewunderndes, aber gleichzeitig auch väterlich-freundliches Verhältnis hatte.

Waldfried – Röttgen… Es erscheint fast als logische Schlussfolgerung, dass der junge Jockey Fritz Drechsler nach vier sehr erfolgreichen Jahren ein Angebot von einer noch berühmteren Adresse des deutschen Rennsports erhielt: Das Gestüt Schlenderhan lockte ihn mit einem Vertrag als Stalljockey. Fritz Drechsler griff zu und fühlte sich nach eigenem Bekunden dort sehr wohl, so dass er bereits vor seinem Engagement als Stalljockey bei Heinz Jentzsch im Jahre 1968 gute Kontakte zu dem zweiten Gestüt hatte, das neben Röttgen für den Rest seiner Laufbahn eine bestimmende Größe bleiben sollte.

Schlenderhaner Rennfarben

Es gibt wohl kaum ein großes Rennen, das Fritz Drechsler im Verlauf seiner langen und an Höhepunkten nun wirklich reichen Karriere nicht gewonnen hat… nun ja, mit einer Ausnahme: Er hat trotz aller Bemühungen nie einen Sieger im Deutschen Derby gesteuert. An Versuchen hatte es wahrlich nicht gemangelt, und es gelangen Fritz Drechsler auch zahlreiche Platzierungen im wichtigsten Rennen des deutschen Turfkalenders, allen voran natürlich der notorisch berühmte zweite Platz, den er 1970 mit seinem Paradepferd Lombard hinter dem aufmüpfigen Stallgefährten Alpenkönig belegte, der doch eigentlich nur die zweite Farbe trug. Gerne, sehr gerne hätte Fritz Drechsler sich auch in die Liste der deutschen Derbysieger eingetragen, aber gelungen ist ihm dies "nur" auf kleinerer Ebene, nämlich mit einem Sieg im Österreichischen Derby 1961 auf dem Röttgener Ucello. Ein Erfolg in Hamburg-Horn hätte ihm sicher eine wesentlich größere Genugtuung bereitet, aber manche Dinge sollen eben wohl einfach nicht sein…


Fritz Drechsler während seiner aktiven Jockeyzeit


Insgesamt brachte Fritz Drechsler es zwischen 1946 und 1975 auf achtundzwanzig Starts im Derby, von denen aber kein einziger zu einem vollen Erfolg führte. Interessant ist in diesem Zusammenhang auch eine kleine Anekdote, die ein Journalist in der Jockeystube unmittelbar vor dem großen Rennen am 6. Juli 1975 aufzeichnete. Da lockerte Fritz Drechsler, dem sicher bewusst war, dass der bevorstehende Ritt auf Alfredo (ja, schon wieder ein Röttgener!) seine letzte Chance sein würde, um sich das begehrte Rennen doch noch zu sichern, die angespannte Stimmung mit einem an seinen Jockeykollegen Harro Remmert gerichteten Witz auf, den ich mir gerne gelegentlich ausborge, weil er so herrlich albern ist, dass er seine Wirkung eigentlich nie verfehlt:

„Warum haben Giraffen einen so langen Hals?“ „Ganz einfach… der Kopf ist so weit weg.“

Doch trotz aller abgeklärten Heiterkeit – es nutzte nichts. Alfredo und Fritz Drechsler wurden nur Vierzehnte im Siebzehnerfeld, und damit war das Kapitel „Deutsches Derby“ für den Jockey ebenso endgültig abgehakt wie wenige Monate später in Köln nach dem Absitzen von Wait and Take auch die Reiterkarriere insgesamt.

Die Rennbahn in Iffezheim wurde Anfang 1976 Fritz Drechslers neue Trainerheimat, und er hatte es nie weit bis in seinen gepachteten Stall, denn das neue Haus lag direkt am Geläuf mit freiem Blick über die Rennbahn. Idealere Arbeitsbedingungen konnte man sich für den neuen Start kaum wünschen, aber dennoch dauerte es eine Weile, bis die neue Tätigkeit mit Erfolg gekrönt wurde. Als er mit seinem Schützling Oranier am 30. Mai 1976 in Neuss sein erstes Rennen als Trainer gewann, dürfte Fritz Drechsler sowohl erfreut als auch erleichtert gewesen sein. Immerhin brachte er es im ersten Trainerjahr 1976 schon auf vierzehn Siege und etablierte sich zunehmend als feste Größe im Südwesten Deutschlands.

Der gleiche ganz große Erfolg wie in seiner Zeit als Jockey war ihm im Traineramt nicht beschieden, aber dies wären angesichts seiner vielen errungenen Siege vielleicht auch unrealistische Erwartungen gewesen. Dennoch hatte Fritz Drechsler in den insgesamt siebzehn Jahre, in denen er in Iffezheim Pferde auf Rennen vorbereitete, einige überdurchschnittliche Galopper in seiner Obhut, allen voran Justus, der sich in München des Bayerische Zuchtrennen und in Hamburg das Otto-Schmidt-Rennen holte, sowie Attelage, Georgie’s Prince, Nephrit und Bepone.

Gut kann ich mich noch an den lausig kalten Dezembertag erinnern, an dem der von meinem Onkel stets respektierte, wenn auch vielleicht nicht im gleichen Maß wie andere Jockeys und Trainer verehrte Fritz Drechsler seine letzten Pferde  als Trainer an den Start brachte. Es war Ende 1992, und ich wurde mit den Worten „Das lassen wir uns auf keinen Fall entgehen!“ von zu Hause abgeholt, um den kurzen Weg zur Rennbahn am Raffelberg zu laufen. Als Reiter hatte ich Fritz Drechlser ja selbst nicht mehr erlebt, aber als Trainer war er mir natürlich ein Begriff, und die Geschichten meines Onkels von Lombard und Co. hatten ihren Teil dazu beigetragen, dass ich gerne mitkam, um den historischen Moment mitzuerleben. Es wurde selbstverständlich auf jedes der vier Drechsler-Pferde noch einmal gewettet, und nach zwei Platzierungen langte es dann endlich im zehnten und allerletzten Rennen der Tageskarte auch noch einmal zu einem Sieg, denn Domicella war als allerletzte Starterin aus dem Stall von Fritz Drechsler nicht zu schlagen. Natürlich haben wir zusammen mit einigen anderen Unentwegten bis ganz zum Schluss ausgehalten und geklatscht. Das war uns die kalten Füße, Ohren und Hände wert. Ein passender Abschied für einen der prägenden Aktiven des deutschen Galopprennsports in der Nachkriegszeit!


Fritz Drechsler ganz rechts als jüngster Vertreter in einer illustren Runde der deutschen Galoppsport-Senioren
 mit Hein Bollow, Heinz Jentzsch und Werner Krbalek 


Das alles war jedoch vor 35 Jahren, als der erste Teil der Rennsportkarriere von Fritz Drechsler zu Ende ging, noch Zukunftsmusik. Ein amüsantes Detail gilt es aber noch am Rande zu verzeichnen: Als allerletztes Pferd kam an jenem 31. Oktober 1975 noch deutlich hinter Wait and Take und Fritz Drechsler ein dreijähriger von Peter Alafi, seinem Nachfolger als Jockeychampion, gerittener Hengst ins Ziel, der äußerst symbolisch diesen Namen trug: Adios. 

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