Samstag, 19. März 2011

Vor 43 Jahren: 2x N

Ich hatte heute einen richtig tollen Pferdetag, denn ich war in Hannover und habe eine vierjährige Pferdedame kennengelernt, die mir rundum sympathisch ist. Nun bin ich also nicht nur als Zuschauerin, sondern gewissermaßen auch aktiv eingebunden in das Netz aus Hoffnungen, Überlegungen und Emotionen, das sich mit einem Rennpferd verbindet. Aufregend ist das jetzt schon - und auch überraschend schön!






"Meiner" Nevis wünsche ich von Herzen Hals und Bein und dass sie es weiterhin so gut haben möge wie augenscheinlich im Moment. Es war etwas, das ihre Reiterin nach dem Trockenführen zu uns sagte, als wir unserer aufgeschlossenen und freundlichen Stute das erste Möhrchen gaben, etwas über das Vermögen von Pferden zu den Menschen zu sprechen, die es ernst mit ihnen meinen und sich Mühe geben sie zu verstehen, das mich an die Geschichte einer anderen jungen Pferdedame denken ließ, die ich vor über einem Jahr geschrieben habe.


Zufällig begann deren Name auch mit "N" - und meine Geschichte wurde dadurch motiviert, dass ich mir für ein Ratespiel im Tippspielforum eine pferdische Identität aussuchen musste. Dies ist die zweite Parallele: Auch heute habe ich während des Aufenthalts in Hannover wieder ein wenig "Futter" für meine rennsporthistorischen Nachforschungen in Form von zwei Alben des Rennsports aus den 1960er Jahren erstehen können. Damals, als der heutige Beitrag entstand, hatte ich mich gerade einige Tage in einen antiquarischen Superfund verbuddelt - einer gebundenen Jahresausgabe der Sport-Welt von 1968. Was für eine enorm spannende Fundgrube!


Verborgen in den leicht angegilbten, dünnen Zeitungsseiten fand ich unter anderem die Geschichte von Novara, die ihrem Umfeld plötzlich solche Rätsel aufgab. Allerdings hoffe ich doch sehr, dass der sympathischen Nevis mehr Glück in ihrem Rennpferdeleben beschieden sein möge...


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Sie hieß Novara, gehörte dem dänischen Gestüt Brandjenberg im Besitz von Niels Schibbye, wurde von Georg Zuber in Neuss trainiert und galt am Ende der Saison 1967 mit dem für Zweijährige allgemein und für Stuten insbesondere sensationell hohen GAG von 96 Kilo als ganz große Hoffnung für das folgende Jahr 1968, das im politischen Lager für reichlich Schlagzeilen sorgte und einer ganzen Generation ihren Namen gab. Liest man hingegen die Sport-Welt und das Album des Rennsports jenes Jahres, so ist von Aufruhr und politischem Protest nichts zu spüren. Die Turf-Welt bewegten andere Themen.

Novara war eine sehr frühreife Zweijährige gewesen, die bereits zu einer der ersten Gelegenheiten überhaupt in der noch nicht eben alten Saison 1967 debütierte. Im Versuchsrennen der Stuten, das traditionell im Weidenpescher Park ausgetragen wurde, sah man sie am 3. Juni 1967 erstmals am Start – und im Ziel auch gleich ganz vorn. Die von Birkhahn aus der Norbelle stammende Stute setzte sich leicht gegen Gegnerinnen aus den Gestüten Waldfried und Erfttal sowie aus dem Besitz der Gräfin Batthyany durch. Dieses Rennen war nebenbei noch eine Beinahe-Premiere der etwas anderen Art, denn es war erst das zweite Rennen auf deutschen Rennbahnen überhaupt, bei dem die Pferde aus einer Startmaschine absprangen, statt sich wie bislang üblich hinter Bändern zu versammeln. Erst zwei Rennen zuvor, analog im Versuchsrennen der Hengste, hatte diese Premiere, die in der Saison 1967 noch den Zweijährigen vorbehalten blieb, stattgefunden. Novara meisterte ebenso wie ihr Pendant bei den Hengsten, der Fährhofer Guatan, dieses neue Startverfahren mühelos.

Mehr – viel mehr! – Eindruck machten aber die folgenden Leistungen der Stute, die 1967 insgesamt fünfmal am Start war, und dennoch zum Saisonauftakt 1968 in der Sport-Welt als „geschontes Pferd“ bezeichnet wird. Nun ja... vermutlich bezieht sich diese Einschätzung wohl eher auf den Umstand, dass Novara diese fünf Starts allesamt bis September 1967 hinter sich gebracht hatte und dann in Winterruhe ging. Geschont oder nicht – sie wusste durchweg zu überzeugen und entschied vier dieser fünf Rennen für sich. Nur beim zweiten Versuch in Frankfurt wurde sie von dem später nicht mehr groß in Erscheinung getretenen Hengst Urussow geschlagen, blieb aber immerhin als Zweite vor Gestüt Astas Kadett. Danach traf Novara dann im Rudolf-Oetker-Rennen, im Horster Criterium und im Ratibor-Rennen Pferde anderen Kalibers. Bernod, Witty, Guatan, vor allem aber die Zoppenbroicherin Ordinanz und Jean Harzheims Bacchus waren unter denen, die bis Mitte September 1967 nur die Hufe der Brandenbjergerin zu sehen bekamen.

Novara war also die klare Königin unter den Zweijährigen, obwohl sie beispielsweise nicht im Preis des Winterfavoriten oder im Zukunfts-Rennen angetreten war. Dennoch: Man erwartete allerorten für 1968 Großes von ihr.

Vor diesem Hintergrund mutet die wenig enthusiastische Schilderung, die der Stute anlässlich der alljährlichen Stallparade (damals noch etwas altbacken-amüsant als „Wanderung durch Rennställe“ betitelt) widerfuhr, doch überraschend an: „Novara ist eine Stute mit kräftigem Widerrist, großer Gesichtszeichnung und hinten auch noch an beiden Beinen weiß gefesselt, in der Vorderpartie weit stärker ausgefallen als im Schluß. Als Schönheit kann man sie auf keinen Fall bezeichnen. Dafür wirkt sie in der Hüfte immer etwas eckig. Die Ohren sind sehr lang und etwas breit angesetzt.“

Arme Novara – offenbar nicht gerade die Heidi Klum unter den Rennpferden...

Doch immerhin folgte auch noch etwas Positives: „Aber Novara kann sehr viel laufen und ist auch eine große Steherin, die vor allem auch vom Boden unabhängig zu sein scheint.“

Nach dieser früh im Jahr abgegebenen Einschätzung hörte man zunächst einmal nicht mehr viel von der Stute, die im Vorjahr so beeindruckt hatte. Lediglich die eine oder andere Wasserstandsmeldung aus dem Neusser Quartier von Georg Zuber ließ annehmen, dass bei der Morgenarbeit alles in geregelten Bahnen lief und Novara gut im Schuss sei. Je näher der Monat Mai und damit auch Novaras erster geplanter Start im Schwarzgold-Rennen kam, desto mehr stieg die Spannung. Daran, dass die Brandenbjergerin ihre Erfolgsserie auch gegen so starke Gegnerinnen wie Ordinanz und Ipanema würde fortsetzen können, zweifelte eigentlich niemand. 

Aber wie das so ist auf der Rennbahn... Manchmal kommt es anders als man denkt. Es siegte Ordinanz vor Ipanema und Novaras Trainingsgefährtin Wolga – Novara aber kam weit geschlagen nur als Fünfte ins Ziel. Großes Rätselraten setzte ein, was die Ursache für diese Niederlage gewesen sein mochte. Trainingsrückstand? Nein, das erschien unwahrscheinlich. Ein schlechter Rennverlauf? Ideale freie Bahn hatte Novara wohl nicht gehabt, war einmal fast gestolpert und hatte im Einlauf die Beine gewechselt, aber Trainer und Jockey gaben unumwunden, wenn auch ratlos, zu, dass Novara selbst bei mehr Glück an jenem Tag keine Siegchance gehabt hätte.

Der Preis der Diana blieb als nächstes großes Ziel aber dennoch auf Novaras Agenda. Noch mochte man die Hoffnungen, die in Novara gesetzt worden waren, nicht aufgeben, und so schenkte die Sport-Welt ihr auch Anfang Juni am Raffelberg erneut das volle Vertrauen, obwohl auch diesmal Gegnerinnen wie Ordinanz, Ipanema und Wolga mit von der Partie waren. Aber der Glaube an eine schnelle Rehabilitation der Stute wurde erneut heftig enttäuscht, denn sie galoppierte nur als Vierte, und damit runde vierzehn Längen hinter der Siegerin Ipanema aus dem Stall von Sven von Mitzlaff durchs Ziel. Zwar war es ein heftig verregneter Tag in Mülheim an der Ruhr, doch war dies keine Erklärung. So gab ihr Jockey zu Protokoll: „Novara ist im Augenblick einfach nicht das Pferd, das sie im Vorjahr war. Ich hatte ein glattes Rennen, und es gibt keine Entschuldigung.“ Dennoch – aufgeben wollte man sie auch nach zwei überaus enttäuschenden Leistungen noch nicht: „Irgendwie scheint Novara im Augenblick nicht voll in Tritt. Es fehlt ihr, so wie sie lief, an Leben und Munterkeit, an zwingender, entscheidender Aktion, aber wir sind überzeugt, daß das Spitzenpferd des Generalausgleichs sich über kurz oder lang rehabilitieren wird. So wie Novara im Vorjahr ihre Rennen gewann, war es nicht die Art eines nur frühreifen Pferdes.“

Ganz Unrecht behalten sollte der Verfasser des Artikels nicht, denn tatsächlich gelang der Stute am Ende noch die Rehabilitation, doch konnte von „kurz“ keine Rede sein, während in Neuss sicherlich fieberhaft nach möglichen Ursachen für Novaras Veränderung geforscht wurde. Und schließlich wurde man tatsächlich fündig und entdeckte eine übergroße Zyste, die dann operativ entfernt werden konnte. Die so natürlich notwendig gewordene Rekonvaleszenzzeit muss Novara ausgesprochen gut genutzt haben, denn als man sie nach einer längeren Pause im September 1968 zum Neusser Herbst-Stutenpreis wiedersah, lobte die Sport-Welt ihr deutlich besseres, gesünderes Aussehen. Dass sie hinter Ordinanz immerhin den zweiten Platz belegte, war – wenn sie auch noch ohne Siegchance war – ein hoffnungsvolles Zeichen. Und so wurde erneut spekuliert, zu welchen Glanztaten Novara ohne das lange nicht entdeckte Geschwür an ihrem Zwölffingerdarm möglicherweise in der Lage gewesen wäre. So aber reichte es Ende September im Deutschen Stutenpreis auf der Krefelder Stadtwaldbahn immerhin noch zu einem versöhnlichen Abschluss, als die Brandenbjergerin vor ihrer Stallgefährtin Little Love zu einem klaren Erfolg kam. Weithin hatte man ihr diesen Sieg wohl auch gegönnt.

Solchermaßen ermuntert schickte sich ihr Stall dann noch zu einem ganz großen Wurf an. Was heute keine große Besonderheit mehr ist, war damals schon eine außergewöhnliche Schlagzeile, denn die offenbar wieder genesene Novara sollte noch einmal an den Start kommen – und zwar in Saint-Cloud im Prix de Flore. Dort wurde sie allerdings nur Letzte, und erneut kann man sich fragen, ob dieses Pferd 1968 nicht auch arg vom Pech verfolgt wurde, denn es war wohl vor allem eine gründlich verkorkste Anreise nach Paris, die Mitschuld an der erneuten Enttäuschung trug. Im Eisenbahnwagen war Novara unterwegs gewesen, doch dauerte die Fahrt bedingt durch einen Bummelstreik an der belgisch-französischen Grenze (heute kaum mehr denkbar!) gute neunzehn Stunden. Das bekam der empfindsamen Novara, die prompt das Futter verweigerte, nicht. Was also tun – starten oder unverrichteter Dinge nach Hause zurückkehren? Man entschied sich für den Start – doch Novara hatte genug.

Kurzfristig war überlegt worden, die Stute auch vierjährig noch im Training zu halten. Doch anders als heute, da es vor Black-Type-Rennen für Stuten im Rennkalender nur so wimmelt und dieser Schritt äußerst lukrativ und einer späteren Zuchtkarriere sehr förderlich sein kann, gab es Ende der 1960er Jahre kaum ein adäquates Angebot für ältere Stuten höheren Leistungsvermögens. Und so sah man Novara nach dem Desaster von Paris nicht mehr am Start.

Stattdessen ging sie eben in die Zucht und brachte drei Fohlen, von denen besonders ihr Sohn die Rennleistungen der Mutter noch weit übertraf. Nebbiolo war der Name des 1974 geborenen Kerlchens, und auch wenn er nicht in Deutschland trainiert wurde, ist er doch als Sieger in den britischen 2000 Guineas 1977 sowie den Gimcrack Stakes ein Begriff. Neben einem weiteren Gruppe-Sieg in den irischen Curragh Stakes sind es aber vor allem zwei Gruppe-I-Platzierungen in den Middle Park Stakes und den Irish 2,000 Guineas, die zu Nebbiolos Ruhm beigetragen haben.

Ein langes Leben war Nebbiolo leider nicht vergönnt, denn er starb bereits 1980 und konnte daher auch als Beschäler keinen großen Einfluss ausüben. Seine besten Kinder waren wohl der Klasse-Steepler Barnbrookagain und besonders der mehrfache Gruppesieger und Deckhengst Superlative, dessen Nachkommen sich inzwischen über ganz Europa verteilt haben. Und in ihnen allen steckt ein klein wenig von der nicht gerade vom Glück verfolgten Novara – irgendwie ein schöner Gedanke, wie ich finde.

Warum ich mir nun vor allem diese Identität gewählt habe? Nun, das hat rein gar nichts mit Nebbiolo zu tun, von dem ich auch erst durch die Recherche für das Wer-bin-ich?-Spiel erfahren habe. Nein, es war ein gewisser Fontane, der am 8. Juni 1992 (dem Tag, an dem Longa aus dem Stall von Heinz Jentzsch mit Andrzej Tylicki den Preis der Diana gewann) in Mülheim in einem Ausgleich II am Start war. Ich quälte mich seinerzeit gerade schulisch bedingt durch „Effie Briest“ und habe aus einer Laune heraus eben jenen Fontane ausgewählt, womit ich meinen Onkel sehr überraschte. „Seit wann wettest du Uwe-Ostmann-Pferde?“ Nun ja... eher selten, das stimmte schon, auch wenn sie am Raffelberg trainiert wurden und häufig genug gewannen. Die Erklärung meiner literarischen Auswahl fand mein Onkel ganz interessant, vor allem, weil ich ihn anschließend auch noch mit der wenig glücklichen Lebensgeschichte der armen Effie B. beglückte.

Nachdem praktisch zeitgleich zu meinem Bericht Fontane (das Pferd, nicht der Schriftsteller) als Erster durchs Ziel gekommen war und unter Andreas Helfenbein meine 2,50 DM Wetteinsatz nicht unerheblich vermehrt hatte, sah mich mein Onkel amüsiert an und meinte: „Die arme Effie! Sag mal, habe ich dir eigentlich mal die Geschichte von einem anderen weiblichen Wesen erzählt, das nicht eben mit dem Glück im Bunde war? Sie hieß Novara...“

Und die Verbindung zwischen Fontane und Novara? Enkel und Oma, denn Fontane, der immerhin mal im Derby gelaufen war, stammte von Novaras Tochter Fair Cousin ab. So klein ist manchmal die Welt...

1 Kommentar:

  1. Zwar habe ich die Geschichte Novaras schon mal gelesen, aber der Mensch ist ja bekanntlich enorm vergesslich und so hatte ich erneut großen Lesegenuss ;) Nevis gefällt mir sowieso und das "neue Rot" unterm Blogtitel auch. :)

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