Sonntag, 10. März 2013

Vor vierzig Jahren: Früh am Start


Mit dem Frühlingsbeginn ist das ja so eine Sache… Wenn ich gegenwärtig auf den Schneeregen schaue, der vor meinem Fenster seit mehreren Stunden beharrlich zur Erde fällt, und an die eisige Wettervorhersage für die kommenden paar Tage denke, dann sind wir zumindest in diesem Jahr vom Frühlingsanfang noch ein ganzes Stück weit entfernt. So ist es auch nicht weiter verwunderlich, dass das DVR – sollte der Winter tatsächlich noch einmal die befürchtete Ehrenrunde drehen – für den kommenden Sonntag einen Ersatzrenntag auf Sand in Dortmund ausgeschrieben hat. Und dabei hatte sich so langsam doch wirklich schon die Vorfreude auf den Start in die grüne Saison im Krefelder Stadtwald breitgemacht.

Momentan bleibt leider nur Abwarten und Hoffen, dass das Wetter uns doch nicht ganz so eisig mitspielt. Ein wenig Geduld wird es früher oder später schon richten… und immerhin haben wir ja heutzutage die Sandbahnrennen in Dortmund und Neuss als Überbrückung. Man mag ja über den sportlichen und finanziellen Wert dieser Veranstaltungen intensiv diskutieren können, aber als es diese Sandbahnen in Deutschland noch nicht gab, war im Winter – meistens ab Silvester – eben einfach für drei Monate Galoppsport-Pause, ehe es irgendwann im März mit der neuen grünen Saison weiterging.

WENN es dann aber irgendwann endlich wieder auch auf Gras heißt „Boxen auf!“, sind Spannung und Vorfreude verständlicherweise besonders groß. Und wie in jedem Jahr kreisen die Fragen dabei im Hinblick auf die sportlichen Highlights natürlich vor allem um die dreijährigen Hengste und Stuten, die im Frühjahr ihr Saison- oder gar Lebensdebüt geben. Oft verstreichen allerdings drei bis vier Frühlingswochen, ehe die wirklich – oder vermeintlichen! – Stars des Derbyjahrgangs wirklich zum ersten Mal an den Start kommen. Spätestens im April ballen sich dann aber die Rennen, in denen sich oft gleich mehrere der hoffnungsvollen Dreijährigen aus den großen deutschen Trainingsquartieren begegnen. Vom Rennbahnpublikum werden diese Konkurrenzen natürlich mit besonderer Aufmerksamkeit verfolgt, denn vielleicht bekommt man ja hier schon den künftigen Derbysieger oder die Erste im Preis der Diana zu sehen!

Manchmal allerdings ist es gar nicht nötig, so lange zu warten, bis die ersten richtigen „Stars“ über den grünen Rasen galoppieren. Das kann nämlich durchaus auch bereits im März an den ersten Grasbahnrenntagen der Fall sein, wie die beiden heutigen Beispiele belegen. Vor vierzig Jahren konnten nämlich schon eine Dreijährige auf der Rennbahn bewundert werden, die später noch groß von sich reden machen sollte. Ihr Saisondebüt als Dreijährige hat sie auch gleich auf Anhieb gewonnen – und bei diesem einen, noch vergleichsweise harmlosen Treffer sollte es nicht bleiben.

Die Rennbahn in Krefeld: Hier SOLL es eigentlich am kommenden Sonntag, falls das Wetter mitspielt, losgehen mit der grünen Saison 2013. Ob das klappt, muss abgewartet werden. Vor vierzig Jahren begann hier jedenfalls die Dreijährigensaison einer großartigen Stute namens Oraza.

Vierzig Jahre ist es heute auf den Tag genau her, als anno 1973 in Krefeld am 10. März der dritte Grasbahnrenntag gestartet wurde. Es war ein Samstag, und die Karte eröffnete mit einem Rennen für Amateurinnen, das von Golden Berry unter Gisela Herzog gewonnen wurde. So weit, so gut, so normal für diesen frühen Zeitpunkt im Frühjahr. Alles noch nicht besonders bemerkenswert…

Richtig spannend wurde es dann aber im vierten Rennen des Tages, als über noch relativ kurze 1400 Meter im Preis vom Niederrhein eine Stute an den Ablauf kam, die – obwohl sie zweijährig bei ihrem zweiten Start gleich gewonnen hatte – von den Wettern nur als dritte Favoritin eingestuft wurde. Sie hieß Oraza, war von Manfred Ostermanns Vater Fredi gezogen worden und später in den Besitz des Stalls Rosenau gewechselt. Für diese Besitzer war sie auch bereits als Zweijährige 1972 am Start gewesen – und zwar genau in zwei Rennen, die sich beide ebenfalls in Krefeld abspielten. Nach einem unauffälligen Debüt Ende September war Oraza hier zwei Monate später im November 1972 auch der erste Sieg gelungen – überlegen mit fünfeinhalb Längen gegen die Zoppenbroicherin Freudenau, wie der Zielrichter notierte.

Diese vielversprechende Form hatte Oraza ganz offenkundig mit über den Winter nehmen können, und so passierte die von Georg Zuber in Neuss trainierte Tochter des Deckhengstes Zank dann auch gleich beim ersten Versuch 1973 erneut als Erste den Krefelder Zielspiegel. Wieder saß Jockey Wolfgang Wickert, für den 1973 die sportlich mit Abstand erfolgreichste Saison seiner Karriere wurde, im Sattel der Stute.

Georg Zuber - Trainer von Oraza in Neuss
Es war im besten Sinne des Wortes ein gelungener Aufgalopp in die Dreijährigensaison von Oraza, denn kaum einen Monat später konnte Oraza in Düsseldorf den Treffer auf Anhieb bestätigen, als sie – nun auf der etwas längeren Meilendistanz und mit einem Kilo Siegaufgewicht – erneut gewann. Es war wohl ein kluger Schachzug, ausgerechnet dort an den Start zu gehen, denn nun kannte die Stute nach ihren drei Krefelder Starts auch die ja grundsätzlich anders gestaltete Bahn auf dem Grafenberg. Und so erschien es beinahe folgerichtig, dass Oraza Mitte Mai – nunmehr in der Königinnenklasse der dreijährigen Stuten angekommen – im Schwarzgold-Rennen bereits ihren vierten Erfolg in Serie feiern konnte. Bei dieser Gelegenheit hielt sie mit der ausgezeichneten Schlenderhanerin Sheba auch eine Altersgenossin von ganz hohem Format leicht in Schach. Diese Sheba, die später als Zuchtstute drei so enorm erfolgreiche Nachkommen wie Steuben, Solo Dancer und Shepard brachte, duellierte sich 1973 übrigens gleich mehrfach auf hoher und höchster Ebene mit Oraza.

Anders als heutzutage, wo ja auch der Preis der Diana in Düsseldorf ausgetragen wird, dies aber erst Anfang August, mussten die dreijährigen Stuten damals bereits recht früh in der Saison, nämlich am Pfingstwochenende Ende Mai oder Anfang Juni, topfit sein, wollten sie sich auf dem Raffelberg in Mülheim auch noch den Preis der Diana an die Fahnen heften. Natürlich versuchte man es nach dem fulminanten Saisonauftakt mit Oraza auch hier über eine mit 2100 Metern deutlich längere Distanz.

Trotz ihrer 1973 noch blütenreinen Weste trauten die Wetter der Sache noch nicht so ganz und kürten Sheba an Stelle von Oraza zur 21:10-Favoritin. Sie sollten falsch liegen, denn die Stute des Stalles Rosenau gewann erneut und kam – mit der Bona-Vertreterin Oktavia quasi als „Puffer“ – wiederum deutlich vor Sheba ins Ziel. Beinahe drei Längen lagen am Ende zwischen Oraza als Siegerin und der Diana-Dritten Sheba. Der Titel der Stutenkönigin 1973 schien eindeutig vergeben.

Danach musste Oraza nach den Informationen aus dem Album des Rennsports 1973 eine kleine Zwangspause hinnehmen, so dass man sie erst im Rahmen der Großen Woche in Iffezheim wieder am Start sah. Hier sollte sie nun im Fürstenberg-Rennen als einzige Stute erstmals gegen die Konkurrenz der Hengste antreten. Ein Sieg wurde es nicht gleich wieder, aber als Vierte zog Oraza sich mehr als achtbar aus der Affäre und verdiente gleich wieder Geld. Dass sie vielleicht noch nicht wieder die „alte“ Oraza war, zeigte sich beim folgenden Start im Neusser Herbst-Stuten-Preis. Auf ihrer Heimatbahn musste Oraza sich hier der Schlenderhanerin Sheba, die sie ja zuvor zweimal deutlich besiegt hatte, mit einem doch schon deutlichen Abstand von sechs Längen geschlagen geben.

Doch noch war das letzte Wort nicht gesprochen. Einen weiteren Start sollte Oraza in der Saison 1973 noch absolvieren, ehe es für sie in die Zucht ging. Zu diesem Zweck begab sich das Team nach Bremen, wo der Deutsche Stutenpreis über weite 2400 Meter auf dem Programm stand. Und Oraza hatte offenbar zu alter Form zurückgefunden, denn sie fertigte hier genau wie im Juni in Mülheim die Bona-Stute Oktavia locker ab und sicherte sich den sechsten Sieg ihrer Laufbahn. Sheba sah man hier nicht am Start, denn mit der Schlenderhanerin war man in der Distanz deutlich zurückgegangen und hatte in München Mitte Oktober den Bayern-Preis über 1300 Meter bestritten und gewonnen – ebenfalls ein überlegener Treffer mit sieben Längen Vorsprung.

So fällt es am Ende nicht ganz leicht zu entscheiden, welche der beiden hervorragenden Stuten Oraza oder Sheba denn 1973 nun die Allerbeste war. Wahrscheinlich hat Oraza aber alles in allem die Nase vorne. Fest steht ganz sicher aber, dass die Rennbahnbesucher 1973 schon sehr zeitig im Jahr in den Genuss kamen, eine richtig, richtig gute Dreijährige am Start erleben zu dürfen. Ob dies vierzig Jahre später 2013 wieder der Fall sein wird? Man wird diese Frage erst später im Jahr beantworten können, aber genau von dieser Spannung lebt der Rennsport ja ganz maßgeblich.

Bald wieder auf Gras... 
Also: Wann geht es endlich wieder richtig los?