Donnerstag, 31. März 2011

Vor 35 Jahren: So gut waren seine Pferde

Eigentlich wollte ich ja heute, an diesem regnerischen Nachmittag, nur ein wenig aufräumen und meine Bücherregale vom winterlichen Staub befreien. Aus diesem guten Vorsatz wurde aber nur wenig, denn schon nach ein paar Minuten, in denen ich immerhin meine Alben des Rennsports und die diversen von meinem Patenonkel geerbten Jahresrennkalender sortiert habe, fiel mir ein älteres Buch in die Hände, das ich einem glücklichen eBay-Moment verdanke:


Fritz Drechslers Erinnerungen, die 1975 unter dem schönen und für seinen Verfasser typisch galanten Titel "So gut waren meine Pferde" veröffentlicht wurden...


Prima Lesestoff!
Warum schreiben Jockeys eigentlich heute keine Bücher mehr?
  
Keine zwei Minuten später hatte ich mich schon festgelesen und war wieder auf dem besten Weg, in eine Galoppsportvergangenheit abzutauchen, die ich so auch nur aus der Kinderwagenperspektive miterlebt habe. Spannend ist die Lektüre trotzdem - oder vielleicht gerade deshalb, weil es den Erzählungen des inzwischen auch schon auf den 80. Geburtstag zusteuernden ehemaligen Spitzenjockeys Fritz Drechsler mühelos gelingt, anschaulich Rennereignisse und Erlebnisse der Vergangenheit zum Leben zu erwecken. 


In Anbindung an meinen leider (zumindest für heute) gescheiterten Frühjahrsputz gibt es also einen Text, den ich vor exakt einem halben Jahr geschrieben habe, als sich Fritz Drechslers Karriereende im Rennsattel zum 35. Mal rundete.




Es war einmal vor 35 Jahren

Heute vor 35 Jahren, am 31. Oktober 1975, wurde auf der Galopprennbahn in Köln-Weidenpesch so gegen 15.00 Uhr das Willi-Ostermann-Gedächtnisrennen entschieden. Der Sieger dieses Ausgleichs II, dessen Jockey Manfred Kosman gemeinsam mit Trainer Theo Grieper und den Besitzern vom Gestüt Moritzberg die Ehrenpreise aus der Hand des Festkomitees des Kölner Karnevals entgegennehmen durfte, hieß Lord Byron. Das eigentlich Denkwürdige an jenem Rennen ereignete sich aber ausnahmsweise nicht auf dem Siegerpodest, sondern in dem Moment, in dem ein anderer Jockey, der mit seinem Pferd, der vierjährigen Röttgenerin Wait and Take, deutlich später als Lord Byron ins Ziel gekommen war, nach dem Zurückwiegen in der Jockeystube seinen Dress auszog. In jenem Moment nämlich endete eine große Jockeykarriere – Fritz Drechsler, von vielen als Gentleman unter den deutschen Reitern bezeichnet, hatte sein allerletztes Rennen bestritten.

Gab es außer für Lord Byron auch Applaus für den Reiter von Wait and Take, auch wenn diese weit hinter dem Sieger nur als vierzehntes von neunzehn Pferden die Ziellinie passiert hatte? War dem Publikum an jenem Tag in Köln überhaupt bewusst, dass es Zeuge eines besonderen Rennens geworden war und dass sie Fritz Drechsler, der lange Jahre genau auf dieser Rennbahn als Stalljockey von Heinz Jentzsch tätig gewesen war, nie wieder im Sattel erleben würden? Wurde eine Rede gehalten? Gab es eine Abschiedszeremonie im Kollegenkreis? Oder geschah dieser Rücktritt vom aktiven Jockeyleben ganz heimlich, still und leise?

Die Quellen, die ich zu Rate ziehen konnte, geben darüber leider nichts her. Es dürfte aber wohl davon auszugehen sein, dass ein Mann, der beim Publikum und im Kollegenkreis gleichermaßen sehr beliebt war, nicht einfach so sang- und klanglos verschwand, nachdem er zum letzten Mal seine Rennstiefel ausgezogen hatte, denn dazu hatte der damals 52 Jahre alte Fritz Drechsler, der 1938 in München seine Jockeylehre begonnen und nach dem Zweiten Weltkrieg eine bemerkenswerte Karriere erlebt hatte, seit Jahrzehnten viel zu sehr zum Inventar gehört.

Tritt ein Sportler vom aktiven Wettkampf zurück, werden ja gerne mit jeder Menge Zahlen seine Glanztaten gewürdigt - manchmal werden sie auch auf bloße Zahlen reduziert. Auch Fritz Drechsler hat im Rennsattel wahrlich viele Erfolge erlebt. Allein acht Jockeychampionate konnte er, der ja in späteren Jahren als Stalljockey bei Heinz Jentzsch, dem Dauerchampion der deutschen Galopprenntrainer, auch eine sehr günstige Ausgangsposition hatte, für sich verbuchen. Sieben dieser Championate errang er in den Jahren 1968 bis 1974 aber in einer Reihe – und das schafft man ganz sicher nicht ohne eine gehörige Portion Fleiß, taktisches Gespür und überragendes Reittalent. Auch wenn es 1975 in seinem letzten aktiven Jahr, mit einem weiteren Championat sehr deutlich nicht mehr klappte, war es doch trotz „nur“ neunundzwanzig Siegen eine erfolgreiche Saison gewesen, denn immerhin hatte Fritz Drechsler am 13. April 1975 mit Antwerpen aus dem Gestüt Röttgen in Köln seinen 1500. Jockeysieg feiern können.

Liest man zwischen den Zeilen, wird deutlich, dass der Rücktritt von der aktiven Karriere wohl eigentlich auch schon früher geplant gewesen war. Inzwischen hatte auch Joan Pall das Amt des Stalljockeys bei Heinz Jentzsch von Fritz Drechsler geerbt. Damals hatte es eine Weile lang Pläne gegeben, die angestammte Kölner Rennbahn in Weidenpesch durch ein völlig neues Hippodrom in Worringen zu ersetzen. Dort hatte man Fritz Drechsler Boxen für einen Start in die angestrebte Trainerkarriere versprochen, doch als sich die ehrgeizigen Pläne zerschlugen, stand er zunächst einmal ohne Perspektive da. Nach eigener Bekundung wäre Fritz Drechsler, der aus München stammte, gerne in seine Heimatstadt zurückgekehrt, fand aber dort keinen freien Stall, in dem er hätte trainieren können. Also ritt er eben noch ein wenig weiter und wartete darauf, dass sich anderswo eine neue Option auftat.

So ritt er während der wohl eher unfreiwilligen Wartezeit bei seinem letzten Jubiläumserfolg und auch bei seinem allerletzten Einsatz ein Pferd des Gestüts Röttgen, was insofern sehr passend erscheint als dass es gerade diese Zuchtstätte war, mit deren Pferden Fritz Drechslers Aufstieg als Jockey 1951 nach einer Weile in Waldfrieder Diensten begonnen hatte. In seinen Erinnerungen an jene Zeit, wie sie sich im Buch „Laufen muss der Bagge“ von Traute König finden, äußerte er sich auch Jahrzehnte später noch begeistert über die Zeit in Röttgen und lobt insbesondere den damaligen Gestütsleiter Graf Lehndorff, zu dem er ein zwar äußerst respektvoll-bewunderndes, aber gleichzeitig auch väterlich-freundliches Verhältnis hatte.

Waldfried – Röttgen… Es erscheint fast als logische Schlussfolgerung, dass der junge Jockey Fritz Drechsler nach vier sehr erfolgreichen Jahren ein Angebot von einer noch berühmteren Adresse des deutschen Rennsports erhielt: Das Gestüt Schlenderhan lockte ihn mit einem Vertrag als Stalljockey. Fritz Drechsler griff zu und fühlte sich nach eigenem Bekunden dort sehr wohl, so dass er bereits vor seinem Engagement als Stalljockey bei Heinz Jentzsch im Jahre 1968 gute Kontakte zu dem zweiten Gestüt hatte, das neben Röttgen für den Rest seiner Laufbahn eine bestimmende Größe bleiben sollte.

Schlenderhaner Rennfarben

Es gibt wohl kaum ein großes Rennen, das Fritz Drechsler im Verlauf seiner langen und an Höhepunkten nun wirklich reichen Karriere nicht gewonnen hat… nun ja, mit einer Ausnahme: Er hat trotz aller Bemühungen nie einen Sieger im Deutschen Derby gesteuert. An Versuchen hatte es wahrlich nicht gemangelt, und es gelangen Fritz Drechsler auch zahlreiche Platzierungen im wichtigsten Rennen des deutschen Turfkalenders, allen voran natürlich der notorisch berühmte zweite Platz, den er 1970 mit seinem Paradepferd Lombard hinter dem aufmüpfigen Stallgefährten Alpenkönig belegte, der doch eigentlich nur die zweite Farbe trug. Gerne, sehr gerne hätte Fritz Drechsler sich auch in die Liste der deutschen Derbysieger eingetragen, aber gelungen ist ihm dies "nur" auf kleinerer Ebene, nämlich mit einem Sieg im Österreichischen Derby 1961 auf dem Röttgener Ucello. Ein Erfolg in Hamburg-Horn hätte ihm sicher eine wesentlich größere Genugtuung bereitet, aber manche Dinge sollen eben wohl einfach nicht sein…


Fritz Drechsler während seiner aktiven Jockeyzeit


Insgesamt brachte Fritz Drechsler es zwischen 1946 und 1975 auf achtundzwanzig Starts im Derby, von denen aber kein einziger zu einem vollen Erfolg führte. Interessant ist in diesem Zusammenhang auch eine kleine Anekdote, die ein Journalist in der Jockeystube unmittelbar vor dem großen Rennen am 6. Juli 1975 aufzeichnete. Da lockerte Fritz Drechsler, dem sicher bewusst war, dass der bevorstehende Ritt auf Alfredo (ja, schon wieder ein Röttgener!) seine letzte Chance sein würde, um sich das begehrte Rennen doch noch zu sichern, die angespannte Stimmung mit einem an seinen Jockeykollegen Harro Remmert gerichteten Witz auf, den ich mir gerne gelegentlich ausborge, weil er so herrlich albern ist, dass er seine Wirkung eigentlich nie verfehlt:

„Warum haben Giraffen einen so langen Hals?“ „Ganz einfach… der Kopf ist so weit weg.“

Doch trotz aller abgeklärten Heiterkeit – es nutzte nichts. Alfredo und Fritz Drechsler wurden nur Vierzehnte im Siebzehnerfeld, und damit war das Kapitel „Deutsches Derby“ für den Jockey ebenso endgültig abgehakt wie wenige Monate später in Köln nach dem Absitzen von Wait and Take auch die Reiterkarriere insgesamt.

Die Rennbahn in Iffezheim wurde Anfang 1976 Fritz Drechslers neue Trainerheimat, und er hatte es nie weit bis in seinen gepachteten Stall, denn das neue Haus lag direkt am Geläuf mit freiem Blick über die Rennbahn. Idealere Arbeitsbedingungen konnte man sich für den neuen Start kaum wünschen, aber dennoch dauerte es eine Weile, bis die neue Tätigkeit mit Erfolg gekrönt wurde. Als er mit seinem Schützling Oranier am 30. Mai 1976 in Neuss sein erstes Rennen als Trainer gewann, dürfte Fritz Drechsler sowohl erfreut als auch erleichtert gewesen sein. Immerhin brachte er es im ersten Trainerjahr 1976 schon auf vierzehn Siege und etablierte sich zunehmend als feste Größe im Südwesten Deutschlands.

Der gleiche ganz große Erfolg wie in seiner Zeit als Jockey war ihm im Traineramt nicht beschieden, aber dies wären angesichts seiner vielen errungenen Siege vielleicht auch unrealistische Erwartungen gewesen. Dennoch hatte Fritz Drechsler in den insgesamt siebzehn Jahre, in denen er in Iffezheim Pferde auf Rennen vorbereitete, einige überdurchschnittliche Galopper in seiner Obhut, allen voran Justus, der sich in München des Bayerische Zuchtrennen und in Hamburg das Otto-Schmidt-Rennen holte, sowie Attelage, Georgie’s Prince, Nephrit und Bepone.

Gut kann ich mich noch an den lausig kalten Dezembertag erinnern, an dem der von meinem Onkel stets respektierte, wenn auch vielleicht nicht im gleichen Maß wie andere Jockeys und Trainer verehrte Fritz Drechsler seine letzten Pferde  als Trainer an den Start brachte. Es war Ende 1992, und ich wurde mit den Worten „Das lassen wir uns auf keinen Fall entgehen!“ von zu Hause abgeholt, um den kurzen Weg zur Rennbahn am Raffelberg zu laufen. Als Reiter hatte ich Fritz Drechlser ja selbst nicht mehr erlebt, aber als Trainer war er mir natürlich ein Begriff, und die Geschichten meines Onkels von Lombard und Co. hatten ihren Teil dazu beigetragen, dass ich gerne mitkam, um den historischen Moment mitzuerleben. Es wurde selbstverständlich auf jedes der vier Drechsler-Pferde noch einmal gewettet, und nach zwei Platzierungen langte es dann endlich im zehnten und allerletzten Rennen der Tageskarte auch noch einmal zu einem Sieg, denn Domicella war als allerletzte Starterin aus dem Stall von Fritz Drechsler nicht zu schlagen. Natürlich haben wir zusammen mit einigen anderen Unentwegten bis ganz zum Schluss ausgehalten und geklatscht. Das war uns die kalten Füße, Ohren und Hände wert. Ein passender Abschied für einen der prägenden Aktiven des deutschen Galopprennsports in der Nachkriegszeit!


Fritz Drechsler ganz rechts als jüngster Vertreter in einer illustren Runde der deutschen Galoppsport-Senioren
 mit Hein Bollow, Heinz Jentzsch und Werner Krbalek 


Das alles war jedoch vor 35 Jahren, als der erste Teil der Rennsportkarriere von Fritz Drechsler zu Ende ging, noch Zukunftsmusik. Ein amüsantes Detail gilt es aber noch am Rande zu verzeichnen: Als allerletztes Pferd kam an jenem 31. Oktober 1975 noch deutlich hinter Wait and Take und Fritz Drechsler ein dreijähriger von Peter Alafi, seinem Nachfolger als Jockeychampion, gerittener Hengst ins Ziel, der äußerst symbolisch diesen Namen trug: Adios. 

Dienstag, 29. März 2011

Vor 18 Jahren: Happy Birthday, Wurftaube!

Der Text, den ich heute veröffentliche, ist exakt vor einem Jahr geschrieben worden. Das ist wenig verwunderlich, denn den Anlass bildete ein Geburtstag, und es liegt nun einmal in der Natur der Dinge, dass solche Tage einmal im Jahr wiederkehren. Das Pferd, dem der Bericht gewidmet ist, ist somit heute auch wieder ein Jahr älter geworden - zumindest wenn es nach den tatsächlichen Daten geht. Offiziell hat diese für mich ganz besondere Stute natürlich wie alle Vollblüter schon am 1. Januar 2011 ihren 18. Geburtstag gefeiert. Überhaupt wird es ihr recht egal sein, dass sie heute vor achtzehn Jahren, am 28. März 1993, das Licht der Welt erblickte, aber für mich ist es einfach ein schöner Anlass, um mich in nostalgischen Erinnerungen an dieses wunderbare Rennpferd zu versenken.




Warum ich ausgerechnet dieses stimmungsvolle Bild von Franz Marc mit ihr verbinde, ist rasch erklärt. Es hängt nämlich als Kunstdruck an meiner Wand, und direkt daneben befindet sich seit Jahren ein gerahmtes Bild aus dem grünen Galoppkalender von damals, das das heutige "Geburtstags"-Pferd zeigt - meine Lieblingsstute Wurftaube. Sehe ich ihr Bild an, sehe ich also gleichzeitig auch den Druck des kleinen blauen Pferdes von Franz Marc.


Den Text aus dem vergangenen Jahr habe ich passend zu Wurftaubes achtzehntem Geburtstag ein wenig überarbeitet, da ich inzwischen durch ein sehr nettes Geschenk eine deutlich bessere Informationsgrundlage zu den Pferden ihres Heimatgestüts zur Verfügung habe als dies im März 2010 noch der Fall war. Wäre sie ein Mensch, hätte sie heute endlich die Volljährigkeit erreicht. So aber befindet sie sich bereits im reiferen Pferdealter, hat sicherlich eine Menge erlebt und wohl nicht nur mir ungeheuer schöne Rennbahn-Momente beschert.


Wo auch immer sie den heutigen Frühlingstag verbracht hat (vermutlich ja auf einer Koppel  in der Nähe von Gütersloh) - ich wünsche meiner Wurftaube noch viele weitere quicklebendige und angenehme Jahre. Happy Birthday, du tolles Pferd!




Es war einmal vor 17 (oder inzwischen 18) Jahren 

Es ist es ja vermutlich bei vielen regelmäßigen Rennbahnbesuchern so, dass ihnen irgendwann einmal – oft völlig unverhofft – ein ganz bestimmtes Pferd begegnet, das sie aus welchen Gründen auch immer so schnell nicht mehr loslässt, dessen Karriere und Laufbahn sie aufmerksam verfolgen, dem sie alles Glück der Welt wünschen und dessen Leistungen auf der Rennbahn sie – eine ausreichende Portion Hals und Bein vorausgesetzt – mit großer Freude erfüllen. Es geht um dieses ganz besondere Pferd, das sie voller Erwartung und unterdrückter Hoffnung auch weite Strecken fahren lässt, nur um dabei zu sein, um live zuschauen zu können, um vor Ort die Daumen zu drücken und es – je nach individuellem Temperament – anzufeuern und zu jubeln, wenn diese Hoffnungen sich tatsächlich erfüllen. Es ist das Pferd, das sie schon im Führring ungesattelt erkennen, das ihr Herz durch sein bloßes Erscheinen höher schlagen lässt und dessen Schritte sie mit angehaltenem Atem verfolgen, bis es ganz nahe an ihnen vorbeigeführt wird... so nah, dass sie es eigentlich fast berühren könnten, wenn sie sich denn trauen würden. Ein ganz besonderer Liebling eben... 

In dieser Geschichte geht es um mein ganz besonderes Pferd – um eine Stute namens Wurftaube. Ich bin schon im vergangenen Jahr gelegentlich gedrängt worden (vermutlich habe ich an diversen Führringen stehend etwas zu oft und zu enthusiastisch von ihr geschwärmt), mal etwas über sie zu schreiben und hatte mir dies für 2010 fest vorgenommen, auch wenn es eigentlich kein ganz rundes Jubiläum gibt, das als Anlass dienen könnte. So feiern wird eben einfach Wurftaubes Geburtstag... ihren siebzehnten Geburtstag, um genau zu sein. Und man wird ja bekanntlich nur einmal siebzehn! 

Der 28. März scheint ein guter Geburtstag für große Rennpferde der späten 90er Jahre gewesen zu sein, denn die großartige Ravensberger Fuchsstute teilt ihn sich mit einem gewissen Tertullian, ist aber zwei Jahre älter als der Deckhengst. Fliegerdistanzen waren allerdings ihre Sache nicht – im Gegenteil: Sie fühlte sich auf Steherstrecken am wohlsten, was bei der Vaterschaft eines gewissen Acatenango ja auch wenig verwunderlich ist. 



Ihre Mutter Wurfbahn war im Vergleich zum berühmten Vater Wurftaubes mit eher überschaubarem Renntalent gesegnet und gewann in ihrer einzigen aktiven Saison 1987 lediglich ein Rennen, ein Nachwuchsreiten mit Andre Best im Sattel.


Wurfbahns einziger Sieg


An dieses Rennen kann ich mich kurioserweise auch noch erinnern, denn ich war mit meinem damals noch recht kleinen Cousin Michael auf der Mülheimer Rennbahn. Jener Cousin wollte als Kind immer Jockey werden und fand die Frisur von Andre Best seinerzeit so toll (zum Glück sind die 80er Jahre vorbei!), dass wir unbedingt Wurfbahn anfeuern mussten. Mich persönlich hat ihr Name ja eher an die verhassten Bundesjugendspiele und meinen Erzfeind, den Schlagballweitwurf, erinnert, aber meinem Cousin zuliebe habe ich mitgespielt. Möglicherweise hat Wurfbahn ja nur deshalb ihr Rennen gewonnen.

Es blieb zwar ihr einziger Sieg, aber dennoch nahm man sie im Heimatgestüt Ravensberg als Vertreterin der berühmten W-Linie, die auf die famose Gründerstute Waldrun zurückgeht, in die Zucht. Dies war sicher rückschauend eine sehr gute Entscheidung, denn eigentlich haben sie bislang all ihre gelaufenen Kinder auf der Rennbahn deutlich übertroffen. Vor allem Wurfscheibe und Wurfspiel machten auf höherer Ebene von sich reden, und ihr Sohn Wurfstern, den man leider nun schon lange nicht mehr auf einer Rennbahn gesehen hat, obwohl er beim DVR weiter als aktiv gelistet wird, war in den Jahren 2007 und 2008 ein erklärter Underdog-Publikumsliebling.



Wunderblume - ein wenig Ähnlichkeit mit ihrer großen Schwester hat sie schon, oder?


Wurfbahns letztes Fohlen, bei dessen Geburt sie leider einging, ist die inzwischen dreijährige, unverwechselbar kreativ benannte Stute Wunderblume, die bei Andreas Wöhler im Training ist. Ich bin schon gespannt, wann sie sich erstmalig auf der Rennbahn vorstellen wird. 


Wurfbahns erstgeborene Tochter Wurftaube war aber auch unter diesen zahlreichen Nachkommen etwas ganz Besonderes, selbst wenn man das an jenem 28. März 1993, als ich vermutlich gerade unter stillen Verwünschungen Mathe für die Abiturprüfungen paukte, kaum ahnen konnte. So sah die junge Dame, die in der Nähe von Gütersloh das Licht der Welt erblickte, kurz nach ihrer Geburt aus: 

Wurftaube, sechs Tage alt, auf der Koppel mit Mama 

Ehe ich sie drei Jahre später das erste Mal zu Gesicht bekam, war die Kleine dann zum Glück noch ein wenig gewachsen und sah auch allgemein weniger struppig aus!

Hier schließt sich für mich eine weitere ganz aktive Erinnerung an, denn schon die Anreise zu Wurftaubes erstem Rennbahnauftritt ist mir intensiv im Gedächtnis geblieben. Und dabei war ich am 14. April 1996 gar nicht mit dem Ziel nach Gelsenkirchen gefahren, mich endlich in mein persönliches ganz besonderes Rennpferd zu vergucken. Das kann man ja auch nicht planen. Im Gegenteil: Es war eben einfach Saisonanfang, und ich war wie üblich voller Neugierde auf die Grasbahnsaison und gesegnet mit jeder Menge Tatendrang. Das Wetter spielte mit, eine gute Freundin war im Schlepptau – einem herrlichen Frühlingsnachmittag auf der Rennbahn stand also nichts mehr im Wege. 

Mit der Straßenbahn sind wir vom Essener Hauptbahnhof, wo wir uns die aktuelle Sport-Welt gegönnt hatten, von Haltestelle zu Haltestelle gen Gelsenkirchen-Horst gezockelt, und unterwegs haben wir die Starterfelder studiert. Wir waren beileibe keine großen Wetterinnen, spielten aber gerne ein Punktespiel gegeneinander, bei dem es meistens um eine Einladung zum Pizzaessen beim Lieblingsitaliener ging. Und dazu musste man sich ja umfassend informieren... 

Meiner Freundin ist der Name „Wurftaube“ zuerst aufgefallen, und zwar als ausgesprochen verschroben amüsant. Auch meine (von meinem Patenonkel "geerbten") Erklärungsversuche, dass solche aus Feld, Wald, Wiese und Jägerlatein stammenden Namen bei Ravensberger Pferden eben Tradition seien, zogen nicht recht. 





Man muss dazu wissen, dass wir einige Jahre zuvor auf der Mülheimer Rennbahn eine andere Ravensberger Stute kennen und mögen gelernt hatten, deren Namen – Wolkenlos – wir beide wunderschön fanden. Und im Vergleich dazu hatte Wurftaube, wie ich meiner unbarmherzig kichernden und mitten in der Straßenbahn das Werfen von flatternden Tauben imitierenden Freundin insgeheim Recht geben musste, namenstechnisch wirklich nicht das große Los gezogen. Ihr Fazit: „Die wette ich. Das arme Ding hat so einen hässlichen Namen. Da kann man nur Mitleid haben.“ 


Es geht ja, wie schon gelegentlich betont, nichts über rationale Wettentscheidungen. 

In Gelsenkirchen endlich angekommen wurde immer noch über den Namen der bislang unbekannten Stute gewitzelt. Nur ein Pferd hatte es laut Sport-Welt an jenem Tag noch heftiger getroffen, nämlich die im Hauptrennen des Tages engagierte Stute Kill the Crab. Auch die wollte meine Freundin aus Mitleid wetten... 

Es war der erhofft schöne Rennbahntag, wobei ich sagen muss, dass ich mich persönlich in Gelsenkirchen-Horst früher immer sehr wohl gefühlt habe und gerne die mit öffentlichen Verkehrsmitteln und Schüler- bzw. Semesterticket umständliche Anfahrt auf mich nahm. Bis zum fünften Rennen der Tageskarte hatte ich Wurftaube allerdings beinahe schon wieder vergessen, und ich habe auch nur zufällig in die richtige Richtung geschaut, als die ersten Stuten noch ohne Sattel und Nummerndecke den Führring betraten. 



Und da habe ich es eben plötzlich entdeckt, mein ganz besonderes Pferd... einfach so, und ohne dass ich ihm zunächst einen Namen zuordnen konnte. Aber es war Sympathie auf den ersten Blick, wobei ich bis heute nicht begründen könnte, was mich spontan zu dieser nicht übermäßig auffallenden Fuchsstute so hingezogen hat. Die Symptome waren aber eindeutig – ich hatte mich in Wurftaube verguckt. 

Als wir sie dann, nachdem klar wurde, wer sie satteln würde, einmal identifiziert hatten, murmelte meine Freundin enttäuscht, sie sei ja „ein bisschen unspektakulär“ ausgefallen, blieb aber bei ihrem Entschluss für eine Sympathiewette. Ich hingegen tat, was ich häufig mache, wenn mir ein Pferd aus diesem oder jenem Grund am Herzen liegt: Ich wettete Wurftaube nicht. Im Nachhinein war das keine dumme Entscheidung, denn dieser Debütstart in Gelsenkirchen-Horst blieb das einzige Rennen, das Wurftaube nicht als Siegerin oder zumindest auf dem Ehrenrang beendete. Sie wurde allerdings in der Zielgeraden rasant schnell, nachdem sie mit deutlicher Verspätung aus der Startbox gekommen war. Hatte sie sich erschreckt? Wer weiß. Ihr Reiter Kevin Woodburn könnte diese Frage wahrscheinlich beantworten. Es ist aber ganz offenkundig noch keine Meisterin vom Himmel gefallen, und gelernt hat Wurftaube das Siegen nach ihrem Einstand als ordentliche Vierte ja dann wahrlich in rasantem Tempo. 

Wurftaube legte als Dreijährige eine Siegesserie hin, die sicher bis heute ihresgleichen sucht. Von Start zu Start, sechs mal insgesamt bei sieben Rennen, steigerte sie sich in beeindruckendem Maße, wurde eigentlich vorab ständig unterschätzt und fertigte dennoch mit jedem Mal bessere Stuten locker ab, so dass sie bei ihrem vierten Rennen überhaupt bereits zur Gruppesiegerin avancierte – unter anderem gegen eine gewisse Kill the Crab, die damals auf Gruppe-Ebene trotz (oder wegen?) ihres Namens für einige Furore sorgte. 



Einfach ein schönes Bild: Wurftaube nach ihrem ersten Gruppesieg Ende Juni 1996 in Hamburg mit ihrem erfreuten Team (Besitzer Reinhard Delius, Jockey Peter Schiergen, Trainer Harro Remmert)


Hamburg, Hannover und Baden-Baden als Spielorte ihrer tollen Auftritte lagen leider damals noch außerhalb meiner autolosen Reisemöglichkeiten, so dass ich Wurftaube 1996 nur noch zweimal laufen – und selbstredend gewinnen – sah. Unsere zweite Begegnung erfolgte im Sommer in Krefeld, als sie sich das Ludwig-Goebels-Erinnerungsrennen holte und dabei unter anderem die Diana-Dritte Anno Luce in den Farben Scheich Mohammeds schlug, die damals bei Uwe Ostmann trainiert wurde. Ein klasse Rennen, und Wurftaube hatte sich seit ihrem ersten Start in Gelsenkirchen erstaunlich entwickelt. Ich erinnere mich an ein ganz abgeklärtes und konzentriertes Pferd, das nach seinem souveränen Sieg im Absattelring zusammen mit ihrem ganzen Team und dem ausgesprochen breit grinsenden Jockey Kevin Woodburn lebhaft gefeiert wurde. 

Es war dennoch nicht das letzte Mal, dass man die bildhübsche Fuchsstute mit den zwei weißen Fesseln hinten, die es stets schaffte, gleichzeitig kraftvoll-muskulös und doch auch grazil auszusehen, unterschätzte und anzweifelte, ob es ihr erneut gelingen würde, mit der notwendigen Steigerung aufzuwarten, um wieder bessere Konkurrenz zu bezwingen. Wurftaube tat es einfach, auch als nun statt den anderen Stuten des Jahrgangs im Fürstenberg-Rennen in Baden-Baden der Vergleich gegen die Hengste anstand. Vorab war hier nur einer Favorit: der sehr gute Fährhofer Surako, der Zweiter im Union-Rennen und im Deutschen Derby gewesen war. Ob Wurftaube gegen ihn überhaupt eine Chance haben würde? 

Sie hatte – und wie! Surako und Narrabeth stritten sich um die Plätze und beschäftigten die Stewards ganz kräftig, doch Wurftaube ließ sich davon nicht beeindrucken. Sie gewann einfach ihr fünftes Rennen in Folge beim sechsten Start. Und weil es so schön war, planten Trainer Harro Remmert und Wurftaubes ständiger Jockey Kevin Woodburn dann mit der Ravensbergerin, die für das westfälische Gestüt eine längere Durststrecke beendete, noch eine Zugabe in Form eines Starts im St. Leger. Nach den einheimischen Stuten und den gleichaltrigen Hengsten musste sich Wurftaube hier erstmals über lange 2800 Meter und gegen starke ausländische Konkurrenz behaupten, denn mit Samraan war immerhin der Dritte des englischen Pendant-Rennens angereist. Natürlich wurde er postwendend Favorit. Und dann war da ja auch noch die Diana-Siegerin Night Petticoat... Und überhaupt hatte Wurftaube ja eine lange Saison hinter sich... Und außerdem war der Boden in Dortmund-Wambel nach tagelangen ergiebigen Regenfällen und zeitweisem Hagel kaum mehr als eine riesige Matschfläche... Auf solchem Boden war Wurftaube noch nie gelaufen. 



Konnte das alles wirklich gut gehen? 

Ich erinnere mich genau daran, wie ich mir mühsam den Termin freischaufelte, weil ich das Rennen auf keinen Fall verpassen wollte. Nach Dortmund war es ohne Auto eine kleine Weltreise, aber der Ausflug hat sich mehr als nur gelohnt, denn Wurftaube kam, sah und siegte. Eine bessere Beschreibung kann es für ihren Auftritt eigentlich nicht geben. Locker überlegen mit elf Längen Vorsprung vor Night Petticoat erreichte sie das Ziel. Kevin Woodburn musste sich lediglich festhalten und grinste über beide Backen, als er ordentlich schlammverspritzt mit der gar nicht übermäßig angestrengt wirkenden Stute durchs Ziel flog. Während die letzten Gegner irgendwann eintrudelten, ließ Wurftaube sich im (zumindest in meiner Erinnerung) von Hagelkörnern übersäten Absattelring bereits ein wenig knuddeln und beäugte interessiert die Ehrenschleife, die sie nun zum Saisonabschluss auch noch als klassische Siegerin auswies. 

Viel wurde damals spekuliert, wie es wohl mir ihr weitergehen würde, aber im Spätherbst folgte die Nachricht, sie solle noch eine weitere Saison im Training bleiben. Mir hat das Anlass zu einem kleinen Luftsprung gegeben, denn ich wollte meine Wurftaube unbedingt noch einmal laufen sehen. Ich war nicht der einzige Mensch, der so reagierte. Vor allem eventuellen Duellen der Traumstute mit Derbysieger Lavirco wurde mit Spannung entgegen geblickt, doch diese Hoffnung erfüllte sich nicht, da der Fährhofer seine Laufbahn frühzeitig beendete. Wurftaube hingegen begann die neue Saison 1997 so wie sie ins Winterquartier gegangen war. Sie gewann – und zwar den Gerling-Preis, erneut gegen einen gewissen Surako und den eisenharten Protektor. Diesmal hatte man sie allerdings nicht unterschätzt, sondern sie zur klaren Favoritin gemacht. Und ich war wieder dabei - noch ein persönliches Freudenfest auf der Kölner Rennbahn! 

Zwei weitere Rennen hat Wurftaube 1997 als Vierjährige danach noch bestritten, und zwar den Badener Preis der Wirtschaft und den Deutschland-Preis in Düsseldorf. Bei ihrem insgesamt neunten Lebensstart wurde sie erstmals wieder bezwungen, und zwar nur von einem Spitzengalopper namens Oxalagu, der lustigerweise am Tag ihres Lebensdebuts auch schon in Gelsenkirchen - dort allerdings bereits auf Gruppeebene in ganz anderen Sphären - siegreich gewesen war. Dass die beiden Pferde sich einmal so wiedertreffen und den Zuschauern ein packendes Duell schenken würden, hat Anfang 1996 sicher noch niemand prophezeien können. 

Hochkarätiger konnte die Konkurrenz, der sich Wurftaube inzwischen stellen musste, wohl kaum mehr werden, und noch ein weiteres Mal habe ich es geschafft, einen von Wurftaubes Starts – ihren letzten, wie sich später herausstellte – mitzuerleben. Dass die Stute zuvor wegen angegriffener Bänder ein wenig im Training hatte aussetzen müssen, wusste ich damals allerdings nicht. Mir war es einfach nur wichtig, dabei sein zu können, und dass Wurftaube in einem hochkarätigen Rennen lief, war gar nicht so entscheidend. Für mein erklärtes Lieblingspferd wäre ich wohl auch angereist, wenn es „nur" in einem Ausgleich II gestartet wäre.



Weil ich nicht auf den Grafenberg trampen wollte, erbarmte sich mein Vater und fuhr mich mit der gleichen Freundin, mit der diese Geschichte beginnt, netterweise nach Düsseldorf. Die erinnerte sich tatsächlich nach einigen Monaten Rennbahnabstinenz auch noch an das „unspektakuläre Pferd mit dem komischen Namen“ und staunte nicht schlecht, als sie von deren sensationeller Karriere erfuhr und sie dann am Führring erblickte. Wieder hat sie sie gewettet, und wieder habe ich davon Abstand genommen. Und wieder ist Wurftaube ein ausgezeichnetes Rennen gelaufen, auch wenn sie gegen den englischen Gast Luso, der ein solides GAG von ca. 100 aufzuweisen hatte und sich weltweit auf Gruppe-I-Ebene tummelte, nicht ganz ankam. So beendete sie, früher als erhofft, da die Bänder nicht mehr recht mitspielen wollten, ihre Laufbahn mit einem schönen zweiten Platz und ging – natürlich – in die Zucht ihres Heimatgestüts. 

Noch immer ist sie dort als Zuchtstute aktiv, wobei ihre Kinder an die Leistung der Mutter bislang noch nicht recht herangekommen sind. Waldvogel war bislang wohl ihr Bester, und im vergangenen Jahr ließ auch ihre nach wie vor im Training befindliche Tochter Waldjagd mit einem schönen Maidensieg in Köln und mehreren ansprechenden Platzierungen aufhorchen.



Auch in der Enkelgeneration, die u.a. vom Gestüt Brümmerhof und vom Newsells Park Stud gepflegt wird, gibt es bereits richtig gute Pferde. Da ist die viel versprechende Waldliebe zu nennen, die immerhin einmal deutlich vor einem gewissen Adlerflug im Ziel war und sich dann als Dreijährige in Köln auf der Zielgeraden ganz tragisch das Bein brach, und vor allem gibt es natürlich noch Wurftaubes Nachfolger in meinem Herzen, Wiesenpfad, ein Pferd, dem nicht nur wegen seiner tollen Großmutter meine ungeteilte Sympathie galt und weiter gilt. Über ihn werde ich sicher auch noch einmal schreiben, aber das wird vermutlich ein eigenständig abendfüllender Bericht werden. 



Wurftaube selbst hat aber darüber hinaus an Wurfscheibe und Wurfspiel noch zwei sehr erfolgreiche Geschwister und mit Wildfährte eine ziemlich talentierte Nichte, die allesamt inzwischen in der Zucht tätig sind. Man darf gespannt sein, was aus dieser traditionellen deutschen Pferdefamilie in Zukunft auf der Rennbahn noch zu sehen sein wird. Waldpark, Waldtraut, Wiwilia und Wiesenweihe sind Namen, die ich in Zukunft aufmerksam verfolgen werde.

Einstweilen aber: Happy Birthday, Wurftaube, und vielen Dank für die tollen nostalgischen Erinnerungen!

Samstag, 19. März 2011

Vor 43 Jahren: 2x N

Ich hatte heute einen richtig tollen Pferdetag, denn ich war in Hannover und habe eine vierjährige Pferdedame kennengelernt, die mir rundum sympathisch ist. Nun bin ich also nicht nur als Zuschauerin, sondern gewissermaßen auch aktiv eingebunden in das Netz aus Hoffnungen, Überlegungen und Emotionen, das sich mit einem Rennpferd verbindet. Aufregend ist das jetzt schon - und auch überraschend schön!






"Meiner" Nevis wünsche ich von Herzen Hals und Bein und dass sie es weiterhin so gut haben möge wie augenscheinlich im Moment. Es war etwas, das ihre Reiterin nach dem Trockenführen zu uns sagte, als wir unserer aufgeschlossenen und freundlichen Stute das erste Möhrchen gaben, etwas über das Vermögen von Pferden zu den Menschen zu sprechen, die es ernst mit ihnen meinen und sich Mühe geben sie zu verstehen, das mich an die Geschichte einer anderen jungen Pferdedame denken ließ, die ich vor über einem Jahr geschrieben habe.


Zufällig begann deren Name auch mit "N" - und meine Geschichte wurde dadurch motiviert, dass ich mir für ein Ratespiel im Tippspielforum eine pferdische Identität aussuchen musste. Dies ist die zweite Parallele: Auch heute habe ich während des Aufenthalts in Hannover wieder ein wenig "Futter" für meine rennsporthistorischen Nachforschungen in Form von zwei Alben des Rennsports aus den 1960er Jahren erstehen können. Damals, als der heutige Beitrag entstand, hatte ich mich gerade einige Tage in einen antiquarischen Superfund verbuddelt - einer gebundenen Jahresausgabe der Sport-Welt von 1968. Was für eine enorm spannende Fundgrube!


Verborgen in den leicht angegilbten, dünnen Zeitungsseiten fand ich unter anderem die Geschichte von Novara, die ihrem Umfeld plötzlich solche Rätsel aufgab. Allerdings hoffe ich doch sehr, dass der sympathischen Nevis mehr Glück in ihrem Rennpferdeleben beschieden sein möge...


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Sie hieß Novara, gehörte dem dänischen Gestüt Brandjenberg im Besitz von Niels Schibbye, wurde von Georg Zuber in Neuss trainiert und galt am Ende der Saison 1967 mit dem für Zweijährige allgemein und für Stuten insbesondere sensationell hohen GAG von 96 Kilo als ganz große Hoffnung für das folgende Jahr 1968, das im politischen Lager für reichlich Schlagzeilen sorgte und einer ganzen Generation ihren Namen gab. Liest man hingegen die Sport-Welt und das Album des Rennsports jenes Jahres, so ist von Aufruhr und politischem Protest nichts zu spüren. Die Turf-Welt bewegten andere Themen.

Novara war eine sehr frühreife Zweijährige gewesen, die bereits zu einer der ersten Gelegenheiten überhaupt in der noch nicht eben alten Saison 1967 debütierte. Im Versuchsrennen der Stuten, das traditionell im Weidenpescher Park ausgetragen wurde, sah man sie am 3. Juni 1967 erstmals am Start – und im Ziel auch gleich ganz vorn. Die von Birkhahn aus der Norbelle stammende Stute setzte sich leicht gegen Gegnerinnen aus den Gestüten Waldfried und Erfttal sowie aus dem Besitz der Gräfin Batthyany durch. Dieses Rennen war nebenbei noch eine Beinahe-Premiere der etwas anderen Art, denn es war erst das zweite Rennen auf deutschen Rennbahnen überhaupt, bei dem die Pferde aus einer Startmaschine absprangen, statt sich wie bislang üblich hinter Bändern zu versammeln. Erst zwei Rennen zuvor, analog im Versuchsrennen der Hengste, hatte diese Premiere, die in der Saison 1967 noch den Zweijährigen vorbehalten blieb, stattgefunden. Novara meisterte ebenso wie ihr Pendant bei den Hengsten, der Fährhofer Guatan, dieses neue Startverfahren mühelos.

Mehr – viel mehr! – Eindruck machten aber die folgenden Leistungen der Stute, die 1967 insgesamt fünfmal am Start war, und dennoch zum Saisonauftakt 1968 in der Sport-Welt als „geschontes Pferd“ bezeichnet wird. Nun ja... vermutlich bezieht sich diese Einschätzung wohl eher auf den Umstand, dass Novara diese fünf Starts allesamt bis September 1967 hinter sich gebracht hatte und dann in Winterruhe ging. Geschont oder nicht – sie wusste durchweg zu überzeugen und entschied vier dieser fünf Rennen für sich. Nur beim zweiten Versuch in Frankfurt wurde sie von dem später nicht mehr groß in Erscheinung getretenen Hengst Urussow geschlagen, blieb aber immerhin als Zweite vor Gestüt Astas Kadett. Danach traf Novara dann im Rudolf-Oetker-Rennen, im Horster Criterium und im Ratibor-Rennen Pferde anderen Kalibers. Bernod, Witty, Guatan, vor allem aber die Zoppenbroicherin Ordinanz und Jean Harzheims Bacchus waren unter denen, die bis Mitte September 1967 nur die Hufe der Brandenbjergerin zu sehen bekamen.

Novara war also die klare Königin unter den Zweijährigen, obwohl sie beispielsweise nicht im Preis des Winterfavoriten oder im Zukunfts-Rennen angetreten war. Dennoch: Man erwartete allerorten für 1968 Großes von ihr.

Vor diesem Hintergrund mutet die wenig enthusiastische Schilderung, die der Stute anlässlich der alljährlichen Stallparade (damals noch etwas altbacken-amüsant als „Wanderung durch Rennställe“ betitelt) widerfuhr, doch überraschend an: „Novara ist eine Stute mit kräftigem Widerrist, großer Gesichtszeichnung und hinten auch noch an beiden Beinen weiß gefesselt, in der Vorderpartie weit stärker ausgefallen als im Schluß. Als Schönheit kann man sie auf keinen Fall bezeichnen. Dafür wirkt sie in der Hüfte immer etwas eckig. Die Ohren sind sehr lang und etwas breit angesetzt.“

Arme Novara – offenbar nicht gerade die Heidi Klum unter den Rennpferden...

Doch immerhin folgte auch noch etwas Positives: „Aber Novara kann sehr viel laufen und ist auch eine große Steherin, die vor allem auch vom Boden unabhängig zu sein scheint.“

Nach dieser früh im Jahr abgegebenen Einschätzung hörte man zunächst einmal nicht mehr viel von der Stute, die im Vorjahr so beeindruckt hatte. Lediglich die eine oder andere Wasserstandsmeldung aus dem Neusser Quartier von Georg Zuber ließ annehmen, dass bei der Morgenarbeit alles in geregelten Bahnen lief und Novara gut im Schuss sei. Je näher der Monat Mai und damit auch Novaras erster geplanter Start im Schwarzgold-Rennen kam, desto mehr stieg die Spannung. Daran, dass die Brandenbjergerin ihre Erfolgsserie auch gegen so starke Gegnerinnen wie Ordinanz und Ipanema würde fortsetzen können, zweifelte eigentlich niemand. 

Aber wie das so ist auf der Rennbahn... Manchmal kommt es anders als man denkt. Es siegte Ordinanz vor Ipanema und Novaras Trainingsgefährtin Wolga – Novara aber kam weit geschlagen nur als Fünfte ins Ziel. Großes Rätselraten setzte ein, was die Ursache für diese Niederlage gewesen sein mochte. Trainingsrückstand? Nein, das erschien unwahrscheinlich. Ein schlechter Rennverlauf? Ideale freie Bahn hatte Novara wohl nicht gehabt, war einmal fast gestolpert und hatte im Einlauf die Beine gewechselt, aber Trainer und Jockey gaben unumwunden, wenn auch ratlos, zu, dass Novara selbst bei mehr Glück an jenem Tag keine Siegchance gehabt hätte.

Der Preis der Diana blieb als nächstes großes Ziel aber dennoch auf Novaras Agenda. Noch mochte man die Hoffnungen, die in Novara gesetzt worden waren, nicht aufgeben, und so schenkte die Sport-Welt ihr auch Anfang Juni am Raffelberg erneut das volle Vertrauen, obwohl auch diesmal Gegnerinnen wie Ordinanz, Ipanema und Wolga mit von der Partie waren. Aber der Glaube an eine schnelle Rehabilitation der Stute wurde erneut heftig enttäuscht, denn sie galoppierte nur als Vierte, und damit runde vierzehn Längen hinter der Siegerin Ipanema aus dem Stall von Sven von Mitzlaff durchs Ziel. Zwar war es ein heftig verregneter Tag in Mülheim an der Ruhr, doch war dies keine Erklärung. So gab ihr Jockey zu Protokoll: „Novara ist im Augenblick einfach nicht das Pferd, das sie im Vorjahr war. Ich hatte ein glattes Rennen, und es gibt keine Entschuldigung.“ Dennoch – aufgeben wollte man sie auch nach zwei überaus enttäuschenden Leistungen noch nicht: „Irgendwie scheint Novara im Augenblick nicht voll in Tritt. Es fehlt ihr, so wie sie lief, an Leben und Munterkeit, an zwingender, entscheidender Aktion, aber wir sind überzeugt, daß das Spitzenpferd des Generalausgleichs sich über kurz oder lang rehabilitieren wird. So wie Novara im Vorjahr ihre Rennen gewann, war es nicht die Art eines nur frühreifen Pferdes.“

Ganz Unrecht behalten sollte der Verfasser des Artikels nicht, denn tatsächlich gelang der Stute am Ende noch die Rehabilitation, doch konnte von „kurz“ keine Rede sein, während in Neuss sicherlich fieberhaft nach möglichen Ursachen für Novaras Veränderung geforscht wurde. Und schließlich wurde man tatsächlich fündig und entdeckte eine übergroße Zyste, die dann operativ entfernt werden konnte. Die so natürlich notwendig gewordene Rekonvaleszenzzeit muss Novara ausgesprochen gut genutzt haben, denn als man sie nach einer längeren Pause im September 1968 zum Neusser Herbst-Stutenpreis wiedersah, lobte die Sport-Welt ihr deutlich besseres, gesünderes Aussehen. Dass sie hinter Ordinanz immerhin den zweiten Platz belegte, war – wenn sie auch noch ohne Siegchance war – ein hoffnungsvolles Zeichen. Und so wurde erneut spekuliert, zu welchen Glanztaten Novara ohne das lange nicht entdeckte Geschwür an ihrem Zwölffingerdarm möglicherweise in der Lage gewesen wäre. So aber reichte es Ende September im Deutschen Stutenpreis auf der Krefelder Stadtwaldbahn immerhin noch zu einem versöhnlichen Abschluss, als die Brandenbjergerin vor ihrer Stallgefährtin Little Love zu einem klaren Erfolg kam. Weithin hatte man ihr diesen Sieg wohl auch gegönnt.

Solchermaßen ermuntert schickte sich ihr Stall dann noch zu einem ganz großen Wurf an. Was heute keine große Besonderheit mehr ist, war damals schon eine außergewöhnliche Schlagzeile, denn die offenbar wieder genesene Novara sollte noch einmal an den Start kommen – und zwar in Saint-Cloud im Prix de Flore. Dort wurde sie allerdings nur Letzte, und erneut kann man sich fragen, ob dieses Pferd 1968 nicht auch arg vom Pech verfolgt wurde, denn es war wohl vor allem eine gründlich verkorkste Anreise nach Paris, die Mitschuld an der erneuten Enttäuschung trug. Im Eisenbahnwagen war Novara unterwegs gewesen, doch dauerte die Fahrt bedingt durch einen Bummelstreik an der belgisch-französischen Grenze (heute kaum mehr denkbar!) gute neunzehn Stunden. Das bekam der empfindsamen Novara, die prompt das Futter verweigerte, nicht. Was also tun – starten oder unverrichteter Dinge nach Hause zurückkehren? Man entschied sich für den Start – doch Novara hatte genug.

Kurzfristig war überlegt worden, die Stute auch vierjährig noch im Training zu halten. Doch anders als heute, da es vor Black-Type-Rennen für Stuten im Rennkalender nur so wimmelt und dieser Schritt äußerst lukrativ und einer späteren Zuchtkarriere sehr förderlich sein kann, gab es Ende der 1960er Jahre kaum ein adäquates Angebot für ältere Stuten höheren Leistungsvermögens. Und so sah man Novara nach dem Desaster von Paris nicht mehr am Start.

Stattdessen ging sie eben in die Zucht und brachte drei Fohlen, von denen besonders ihr Sohn die Rennleistungen der Mutter noch weit übertraf. Nebbiolo war der Name des 1974 geborenen Kerlchens, und auch wenn er nicht in Deutschland trainiert wurde, ist er doch als Sieger in den britischen 2000 Guineas 1977 sowie den Gimcrack Stakes ein Begriff. Neben einem weiteren Gruppe-Sieg in den irischen Curragh Stakes sind es aber vor allem zwei Gruppe-I-Platzierungen in den Middle Park Stakes und den Irish 2,000 Guineas, die zu Nebbiolos Ruhm beigetragen haben.

Ein langes Leben war Nebbiolo leider nicht vergönnt, denn er starb bereits 1980 und konnte daher auch als Beschäler keinen großen Einfluss ausüben. Seine besten Kinder waren wohl der Klasse-Steepler Barnbrookagain und besonders der mehrfache Gruppesieger und Deckhengst Superlative, dessen Nachkommen sich inzwischen über ganz Europa verteilt haben. Und in ihnen allen steckt ein klein wenig von der nicht gerade vom Glück verfolgten Novara – irgendwie ein schöner Gedanke, wie ich finde.

Warum ich mir nun vor allem diese Identität gewählt habe? Nun, das hat rein gar nichts mit Nebbiolo zu tun, von dem ich auch erst durch die Recherche für das Wer-bin-ich?-Spiel erfahren habe. Nein, es war ein gewisser Fontane, der am 8. Juni 1992 (dem Tag, an dem Longa aus dem Stall von Heinz Jentzsch mit Andrzej Tylicki den Preis der Diana gewann) in Mülheim in einem Ausgleich II am Start war. Ich quälte mich seinerzeit gerade schulisch bedingt durch „Effie Briest“ und habe aus einer Laune heraus eben jenen Fontane ausgewählt, womit ich meinen Onkel sehr überraschte. „Seit wann wettest du Uwe-Ostmann-Pferde?“ Nun ja... eher selten, das stimmte schon, auch wenn sie am Raffelberg trainiert wurden und häufig genug gewannen. Die Erklärung meiner literarischen Auswahl fand mein Onkel ganz interessant, vor allem, weil ich ihn anschließend auch noch mit der wenig glücklichen Lebensgeschichte der armen Effie B. beglückte.

Nachdem praktisch zeitgleich zu meinem Bericht Fontane (das Pferd, nicht der Schriftsteller) als Erster durchs Ziel gekommen war und unter Andreas Helfenbein meine 2,50 DM Wetteinsatz nicht unerheblich vermehrt hatte, sah mich mein Onkel amüsiert an und meinte: „Die arme Effie! Sag mal, habe ich dir eigentlich mal die Geschichte von einem anderen weiblichen Wesen erzählt, das nicht eben mit dem Glück im Bunde war? Sie hieß Novara...“

Und die Verbindung zwischen Fontane und Novara? Enkel und Oma, denn Fontane, der immerhin mal im Derby gelaufen war, stammte von Novaras Tochter Fair Cousin ab. So klein ist manchmal die Welt...

Mittwoch, 16. März 2011

Vor zwanzig Jahren: Keine geraden Linien

Manche seiner Bilder sind so bekannt, dermaßen unverwechselbar in ihrem Stil, dass auch Menschen, die sich nicht groß für Kunst interessieren, bei ihrem Anblick spontan sagen: "Aber das ist doch von... Mondrian!" Gerade schwarz Linien, rechte Winkel, ein paar leuchtende Grundfarben, geometrische Formen... Diese Kunstrichtung ist uns sogar so vertraut, dass sie als Inspiration für alle möglichen Produkte dienen muss:




Überraschend ist für viele Menschen, dass Piet Mondrian zu Beginn seiner Laufbahn ganz andere Bilder gemalt hat - typische impressionistische Kunst, die sich in der Folgezeit stetig veränderte und weiterentwickelte, bis sich sein unverwechselbarer Stil voll ausgeprägt hatte. Mondrian-Bilder, die weniger streng und reduziert sind, haben zwar einen geringeren Wiedererkennungseffekt, aber vielleicht gefallen sie mir gerade deshalb besser, weil ich es nicht so streng strukturiert, reduziert, hart und abstrakt mag. So ist Leben meiner Erfahrung nach einfach nicht - und Lebewesen noch viel weniger.  






Auch das Pferd, über das ich im August 2009 einen vergleichsweise kurzen Bericht schrieb, hatte ein buntes, vielfältiges, leider nicht immer schönes Leben. Ähnlich wie der Maler Piet Mondrian, nach dem es benannt worden war, machte es eine rasante Fortentwicklung durch. Wie der Künstler auch musste es eine Weile emigrieren - und wäre doch vielleicht angesichts dessen, was ihm anderswo geschah, lieber "zu Hause" im Ruhrgebiet geblieben. 


Eine Zeit lang war das Pferd, um das es in diesem Beitrag geht, jedenfalls in Deutschland mindestens so bekannt wie sein malender Namensvetter und löste durch seinen größten Erfolg, der ihm an einem Sonntag im Juli 1989 in Hamburg auf Kosten eines anderen Vierbeiners gelang, heftigste, emotional geführte Diskussionen über gerade Linien und deren (Nicht-)Einhaltung aus. Geändert haben diese Debatten nichts, denn was geschehen war, war geschehen. Die eine Chance auf den größten Triumph eines Vollblutlebens war für den einen vorbei, und für den Protagonisten meiner Geschichte blieb dieser Moment des Triumphs darum nie ungetrübt.


Was kam danach? Große Erfolge, viele Emotionen und eine ambitionierte Entscheidung, die schweren Schaden anrichtete, großes Erschrecken und ein Versuch der Wiedergutmachung an einem Pferd, das für viele beglückend bunte Rennbahnmomente gesorgt hatte. Ein buntes Pferdeleben also, das zumindest bescheidene Spuren bis in die heutige Zeit hinterlassen hat - und alles andere als einfarbig oder abstrakt!
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Es war einmal vor 20 Jahren

Genau zwanzig Jahre ist es schon her, seit ein Pferd namens Mondrian in Gelsenkirchen-Horst den 33. Aral-Pokal gewann. Grund genug, dem von Uwe Stoltefuß in Dortmund trainierten Fuchshengst (ein eher dunkler Fuchs, wenn man die Fotos von damals betrachtet) einen eigenen Beitrag zu widmen. Der Sieg in Gelsenkirchen-Horst trug nämlich vor allem dazu bei, Mondrians Rolle als führendes Pferd des Derby-Jahrgangs zu unterstreichen, nachdem er sich zwei Rennen zuvor den Derby-Sieg nur durch die höchst umstrittene und heftig diskutierte Disqualifikation von Taishan am grünen Tisch geholt hatte. Auch nach der Bestätigung dieser Zurückstufung Taishans durch das Renngericht und Mondrians leichtem 1½-Längen-Sieg im Großen Preis der Berliner Bank haftete dem ganzen Geschehen noch ein merkwürdiger Geruch an. Nicht wenige unterstellten Mondrians Reiter, er habe sich das Derby nur durch eine ausgeklügelte Schwalbe gesichert. In Gelsenkirchen jedoch schlug Mondrian Taishan und vier Konkurrenten aus dem Ausland (darunter mit Alwuhush wohl den hochkarätigsten Gegner) klar und deutlich. Immerhin sieben Längen lagen nun zwischen den beiden Pferden.

Mondrian war schon ein guter Zweijähriger gewesen, der nie viel Arbeit vertrug, aber bei allen seinen sechs (!) Starts Geld verdient und spät im Jahr auch einmal gewann. In seiner Dreijährigen-Saison hatte er schon das Consul-Bayeff-Rennen für sich entschieden, und nach dem Aral-Pokal war er dreifacher Gruppe-I-Sieger – eine Auszeichnung, der er dann in Baden-Baden mit dem vierten Sieg auf diesem Level die Krone aufsetzte. Auch in der folgenden Saison beherrschte Mondrian die deutschen Rennen über die klassische Distanz. Im eigenen Land hatte er 1990 keinen Gegner zu fürchten, und sogar seinen Dauerrivalen Ibn Bey aus dem Stall von Paul Cole bekam er nach dem dritten Versuch in den Griff. Lediglich Filia Ardross, die Super-Stute des Jahrgangs, konnte in Düsseldorf noch halbwegs mithalten. Im Ausland wollte es bei verschiedenen Starts allerdings nicht so recht klappen.

Leider nahm Mondrians „Geschichte“ im folgenden Jahr 1991 einen traurigen – manche würden auch sagen skandalösen – Verlauf, denn er wurde zu Paul Cole nach England überstellt. Was auch immer dort geschehen sein mag – der Mondrian, der im Herbst in Baden-Baden antrat, war nicht das Pferd, das das deutsche Publikum inzwischen ins Herz geschlossen hatte. Er wurde abgeschlagen und völlig chancenlos Neunter von neun angetretenen Pferden und war in einem derart jämmerlichen Zustand, dass seiner früheren Pflegerin die Tränen kamen und der Jahresrennkalender für 1991 vermerkt: „Und man mochte gar nicht hinsehen, wie Mondrian, der Mondrian, der uns in Iffezheim schon so viel ‚thrill’ geliefert hatte, wie ein krankes Pferd ins Ziel geschlichen kam.“ Deutliche Worte des Zorns und der Enttäuschung für die Besitzer, die ihn völlig überraschend mit der Entscheidung konfrontiert hatte, dass Mondrian nach England gehen werde, findet Uwe Stoltefuß in Traute Königs Buch „Turfgeschichten“: „Es war unfaßbar. Den haben sie richtig hingerichtet.“

Mondrian blieb in Deutschland und wurde 1992 Deckhengst in Röttgen. Später stand er dann in den Gestüten Weserland und Trona, wo er 2005 an Herzversagen im Alter von 19 Jahren einging. Der ganz große Erfolg war ihm als Deckhengst nicht vergönnt, aber sein Sohn Well Made war ein Könner. Und passenderweise gewann sein inzwischen achtjähriger Sohn Durani als Überraschungssieger gerade erst das letzte Rennen des Meetings in Bad Doberan.

Der Aral-Pokal ist inzwischen ebenso Geschichte wie die Rennbahn in Gelsenkirchen-Horst und der tolle Mondrian. Heute wird als vergleichbares Rennen Mitte August der Rheinland-Pokal in Köln ausgetragen. Aber Mondrians Leistungen auf dem grünen Rasen sind sicher in vielen Erinnerungen lebendig und werden es noch eine ganze Weile bleiben.

Montag, 14. März 2011

Vor 35 Jahren: Anfang und Ende...

Das griechische Alphabet wird von den Buchstaben Alpha und Omega umgrenzt, symbolisch stehend für Anfang und Ende, und ein wenig Ähnlichkeit mit diesem Paar hat auch die heutige Geschichte. Am kommenden Sonntag wird in Krefeld die Serie der Grasbahnrenntage 2011 (*freu*) eingeläutet, gewissermaßen der Alpha-Renntag der grünen Saison. Am Ende des Krefelder Rennjahres steht - zumindest heute - das Ratibor-Rennen für die Zweijährigen, das auf eine lange Tradition zurückblicken kann. 






Um genau jene Tradition ging es mir Anfang November 2009, als 35 Jahre seit dem Sieg eines Pferdes vergangen waren, das über mehrere Jahre hinweg das Rennbahnpublikum begeistern konnte und dabei zunächst vom vermeintlichen Steher zum Flieger "umschulen" musste. Aber auch in anderer Hinsicht ist die Geschichte von Kronenkranich (= der Vogel auf dem Bild) interessant und nicht unbedingt alltäglich.


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Es war einmal vor 35 Jahren

Heute geht es wieder ein wenig weiter in die Vergangenheit zurück, und wie es der Zufall so will, tatsächlich in das Jahr meiner Geburt. Zuverlässigen familieninternen Quellen zufolge habe ich das Rennen, um das es geht, tatsächlich miterlebt... wie man das eben mit vier Monaten aus der Tiefe des Kinderwagens heraus schon kann. Ich nehme mal an, dass meine Rassel damals noch deutlich interessanter war als der Ausgang des Ratibor-Rennens 1974. ;-)

Das Rennen selbst, das heute wieder in Krefeld stattfinden wird, ist eine echte Traditionsprüfung, denn es stammt bereits aus der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts und trägt seinen Namen auch seit 1891 unverändert. Das aus dem Gestüts-Preis hervorgegangene Herzog von Ratibor-Rennen war lange Zeit in Berlin beheimatet gewesen und erst nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs in den Westen Deutschlands gewandert, wo es nach einigen Jahren an verschiedenen Austragungsorten in Krefeld einen neuen und dauerhaften Veranstalter fand. In seiner Geschichte hatte es bereits eine Reihe großer Sieger und Platzierte gesehen, die auch später auf sich aufmerksam machten. Orsini, Masetto, Liebeslied, Aubergine, Bandit, Novara, Pentathlon, Caracol oder Lombard sind nur einige der sicher auch heute noch vielen Rennsport-Fans bekannten Namen aus der Chronik des Ratibor-Rennens nach dem Zweiten Weltkrieg.

Anno 1974 wurde das Ratibor-Rennen allerdings noch wie bis vor zwei Jahren üblich früher im Jahr statt im November ausgetragen. Und so öffneten sich am 22. September 1974 die Boxen im Stadtwald und sahen bei guten Bodenverhältnissen einen überlegenen Sieger, der umgehend, wie es bei großen Zweijährigenprüfungen eben Brauch ist, zu einem viel diskutierten Hoffnungsträger für die Derby-Route im kommenden Jahr avancierte: Kronenkranich, ein schwarzbrauner Hengst aus dem Gestüt Zoppenbroich, der auch bereits als 18:10-Favorit an den Start gegangen war. Diese Einschätzung konnte kaum verwundern, denn Kronenkranich brachte eine fast blütenweiße Weste mit nach Krefeld und war bei seinen drei vorherigen Starts mit einer Ausnahme ungeschlagen geblieben. Lediglich bei seinem allerersten Rennbahnversuch früh im Jahr im Kölner Versuchsrennen der Hengste hatte er sich mit einem kurzen Kopf einem gewissen Roger geschlagen geben müssen. Darauf hatte Kronenkranich aber in Köln und im Baden-Badener Zukunfts-Rennen zwei klare Siege folgen lassen.

Selbiges gelang ihm – wenn man den Augenzeugenerinnerungen meines Onkels vertraut – auch im Ratibor-Rennen des Jahres 1974. Der Richterspruch lautete jedenfalls auf „überlegen, 3 Längen“, und hinter Kronenkranich befand sich immerhin ein gewisser Frescobaldi, der Derby-Zweite des kommenden Jahres, der auch darüber hinaus eine Reihe hochrangiger Platzierungen und Siege vorzuweisen hat. Keine schlechte Konkurrenz also, aber für den von Sven von Mitzlaff trainierten und von Harro Remmert gerittenen Hengst kein Problem. Hatte man hier bereits einen möglichen Derby-Sieger für 1975 am Start gesehen?

Mitten im Winter, also genau zu der Jahreszeit, in der für die bevorstehende, aber leider noch so weit entfernt wirkende Saison besonders viel gehofft und spekuliert werden kann und darf, erreichte damals aber eine überraschende Nachricht das Rennbahnvolk: 

Kronenkranich war tatsächlich verkauft worden, und zwar zu einem außerordentlich hohen Preis. Sein neuer Eigner war Waldemar Zeitelhack, damals ein mit aller Macht aufstrebender und in Rennbahnkreisen ziemlich viel Furore machender Stahlfabrikant aus Nürnberg, mit dessen Namen heute noch besonders der Arc-Triumph eines gewissen Star Appeal verbunden ist. Und dieser Herr Zeitelhack hatte eben auch den Traum, den viele Besitzer träumen: Er wollte das Derby gewinnen, und zu diesem Zweck hatte er Kronenkranich erworben, obwohl doch noch gar nicht klar war, wie es um die Steherqualitäten des Zoppenbroicher Hengstes bestellt sein mochte. 

Nebenbei bemerkt: Interessante Einblicke in die Vorgänge rund um Kronenkranichs Besitzerwechsel gibt dieser Artikel aus dem SPIEGEL-Archiv:


Folgt man diesen Informationen, so blieb der Hengst auf Wunsch des Herkunftsgestüts bei seinem vertrauten Trainer und Jockey – sicher auch keine ganz alltägliche Entscheidung in der Welt des Rennsports. Und tatsächlich schien sich mit Kronenkranich auch 1975 alles bestens zu entwickeln. Zum Saisondebüt trat er mit Harro Remmert im Sattel gleich wieder im Krefelder Dr. Busch-Memorial an – und gewann. Ein überlegener Sieg im Henckel-Rennen, u.a. gegen einen gewissen Windwurf, festigte Kronenkranichs Stellung als Primus unter den Dreijährigen, doch das Union-Rennen sorgte für eine erste derbe Ernüchterung. War es die Tatsache, dass Kronenkranich wohl doch kein Steher war? Gab es einen anderen Grund für die Tatsache, dass er das renommierte Kölner Vorbereitungsrennen nicht gewann und nicht einmal auf dem Treppchen landete?

Wie auch immer: Kronenkranich hatte erstmals wieder eine Niederlage einstecken müssen. Doch sein Besitzer träumte natürlich weiter den Traum vom Derbysieg. In dieser Situation wiederholte Sven von Mitzlaff eine Strategie, die bereits zwei Jahre zuvor mit Athenagoras hervorragend funktioniert hatte. Er schickte den Hengst des Herrn Zeitelhack eine runde Woche vor dem Derby-Sonntag im Hamburger Otto-Schmidt-Rennen an den Start. Lange 2200 Meter betrug die Distanz, und Kronenkranich gewann erneut. War er also doch ein Steher? Die folgende Entwicklung gibt sicher weiterhin Anlass zu Spekulationen und Vermutungen, denn immerhin hatte Kronenkranich hier Königsee und (erneut) Frescobaldi besiegt, die eine Woche später als Erster und Zweiter im Derby große Meriten verdienten. Und eigentlich hätte Kronenkranich nach dieser Form doch im Rennen aller Rennen ebenfalls vorne dabei sein müssen. 

Ja, hätte, wäre, wenn...

Es kam allerdings völlig anders, denn das Derby endete mit einem absoluten Außenseiter-Einlauf, der wieder einmal die viel zitierte These bestätigen könnte, dass es sich eben um ein völlig verrücktes Rennen handelt. Ausgerechnet von Kronenkranich und seinem Stallgefährten Lord Byron war eine unabsichtliche Behinderung ausgegangen, die zu einer folgenschweren Kettenreaktion führte und neben dem großen Favoriten selbst auch einige der anderen Teilnehmer um ihre potentiellen Chancen brachte. Während vorne also Jose Orihuel mit Königsee einem denkwürdigen und emotional gefeierten Sieg entgegenstrebte, endeten die Derby-Träume von Waldemar Zeitelhack abrupt: Seine drei Pferde brachten das große Kunststück fertig, als Drittletzter, Vorletzter und Allerletzter die Ziellinie zu passieren. Es erfordert keine Fantasie sich vorzustellen, dass er sich diesen Tag in seinen Träumen vollkommen anders ausgemalt hatte.

Die Umstellung auf kürzere Distanzen erfolgte bei Kronenkranich, der später wie die übrigen Pferde von Waldemar Zeitelhack von Theo Grieper trainiert wurde, jedoch nicht sofort, so dass der Rest der Saison weiteren Grund zu Frustration und Fragezeichen bot, denn dem Hengst, in dessen Karriere der Sieg im Ratibor-Rennen wie ein Dreh- und Angelpunkt wirkt, wollte einfach nichts mehr gelingen. Dass er im Herbst in Baden-Baden während eines Trainingsgalopps seinen eigentlich vertrauten Jockey abwarf, der sich dabei zwar schwerer verletzte, aber letztlich noch einmal Glück gehabt hatte, fügt sich symptomatisch in das Gesamtbild ein. 

Erst Mitte 1976, also ein rundes Jahr nach der Derby-Schlappe, ließ Kronenkranich in Dortmund wieder mit einer besseren Leistung über eine kürzere Strecke aufhorchen. Und dabei blieb es dann auch: Auf Distanzen zwischen 1200 und 1800 Metern gelangen ihm noch eine Reihe großer Erfolge, unter denen besonders ein Gruppe-I-Sieg in Mailand herausragt. Spät, aber dafür umso nachhaltiger hatte man ein optimales Betätigungsfeld für den imposanten schwarzbraunen Hengst gefunden.

Nach dem Ende seiner aktiven Laufbahn wurde Kronenkranich Deckhengst, doch wirklich große Leistungen gelangen den meisten seiner Nachkommen, die sich wie Geneva, Bermuda, Justinian oder Sonnenkranich ebenfalls bevorzugt auf kurzen Strecken oder im Hindernissport tummelten, leider nicht.

Wie es da wohl 35 Jahre später dem heute zu kürenden Nachfolger als Sieger des Ratibor-Rennens ergehen wird? Man darf zumindest gespannt sein und in der Zwischenzeit gerne ein paar Erinnerungen an Kronenkranich oder andere Vierbeiner in der Siegerliste des Rennens (Kornado, Prince Firebird, Wauthi, Precious Boy, Esclavo, Macanal, Lirung, Lagunas, Zampano oder Abary fallen neben den oben bereits Genannten ins Auge) austauschen.