Samstag, 12. März 2011

Vor zwanzig Jahren: Freue dich an heute, denn was morgen wird, weißt du nicht...



Es war einmal vor 20 Jahren

Oder genauer gesagt: es war einmal vor 20 Jahren und einem Tag, als in Köln ein Auktionsrennen für Zweijährige entschieden wurde. Es kann als Vorläufer jenes BBAG-Auktionsrennens gelten, das am vergangenen Sonntag von Zazou gewonnen wurde. Sicher werden auch in diesen Zweijährigen so intensive Hoffnungen gesetzt wie in den Sieger vor zwanzig Jahren. Wünschen kann man Zazou und seinem Team nur, dass er etwas mehr langfristiges Glück haben möge als eben dieser Vorgänger, den im folgenden Jahr die wohl folgenschwersten und bedauerlichsten Zahnprobleme der deutschen Turfgeschichte überfielen.

Mandelbaum hieß das Pferd, das am 19. August 1989 unter Georg Bocskai der Konkurrenz keine Chance ließ und so auch seinen zweiten Lebensstart siegreich gestaltete. Doch damit nicht genug – anderthalb Monate später ließ der schöne dunkelbraune Hengst mit der markanten Blesse, die mich immer an ein etwas lang gezogenes Südamerika erinnerte, in Dortmund einen weiteren Treffer in einem Auktionsrennen folgen. Hier ließ er unter anderem die spätere Diana-Siegerin Highness Lady hinter sich und avancierte so mit einer Gewinnsumme von 185500 DM zum einstweiligen Krösus des Zweijährigenfelds, bis ihn der Winterfavorit Bluegrass Native noch übertrumpfte. Das Gestüt Wittekindshof hatte den Königsstuhl-Sohn Mandelbaum gezogen, und da er in Baden-Baden für „nur“ 39000 DM zugeschlagen worden war, konnte der Stall Steigenberger sich bereits nach seiner ersten Saison über ein äußerst gelungenes Geschäft freuen. Es war nebenbei bemerkt ein Jahr des Uwe Ostmann, der stolz sein konnte, zwei Top-Zweijährige in seinem Stall zu haben und mit zwei ungeschlagenen Derbyhoffnungen in die Saison 1990 zu gehen.

Beide Hoffnungen wurden jedoch im Verlauf des folgenden Jahres bitter enttäuscht, denn für Bluegrass Native war bereits nach dem ersten – siegreichen – Saisonstart Schluss. Mit Mandelbaum hingegen lief zunächst wirklich alles nach Plan, denn er galoppierte auch als Dreijähriger von Sieg zu Sieg: Dr. Busch-Memorial in Krefeld, Mehl-Mülhens-Rennen in Köln, wo er unter anderem auch vor einem gewissen Karloff blieb, der mit Albert Steigenberger den gleichen Besitzer hatte, aber von Bruno Schütz trainiert wurde, und schließlich der so wichtige Sieg im Union-Rennen, der zeigte, dass Mandelbaum wohl auch ein Steher war. So sehen Derby-Favoriten aus, ungeschlagen und offenbar mit Glück, Schönheit und Können überreichlich gesegnet.

Man mag sich kaum ausmalen, was Trainer und Besitzer durch den Kopf gegangen sein muss, als kurz vor dem Derby, dem Rennen aller Rennen, klar wurde, dass der heiße Favorit Mandelbaum nicht antreten können würde. Die Zähne machten Probleme, und auch wenn zuerst noch gehofft wurde, dass er später in der Saison wieder würde mitmischen können, bedeutete diese Diagnose schon das Ende seiner Dreijährigenkampagne. Zum Derbysieger wurde so ein gewisser Karloff, womit zumindest für den Stall Steigenberger die Welt wieder halbwegs in Ordnung war, denn das Derby hatten sie nun trotz Mandelbaums Ausfall gewonnen. Dass Karloff – ganz vorsichtig gesagt – wohl kaum als bester Derbysieger aller Zeiten in die Annalen eingehen wird, war da vermutlich zu verschmerzen. Trotzdem: Ein gesunder Mandelbaum hätte wohl bei halbwegs vernünftigem Rennverlauf aus der angetretenen Konkurrenz in Hamburg Haschee gemacht.

Immerhin war Mandelbaum aber weiter ungeschlagen, so dass man sich vierjährig noch einiges von ihm erhoffte. So ging es auch gleich auf hoher und höchster Gruppeebene los – ohne kleineres Aufbaurennen, um Kondition zu tanken und auszutesten, ob der „alte“ Mandelbaum immer noch da war. Jedoch folgte eine herbe Enttäuschung – er war nicht da. Und er kam auch nie wieder zurück, wie sich anhand der Rennberichte, die es damals noch im Jahresrennkalender gab, sehr gut nachvollziehen lässt. Nach dem Gerling-Preis ist die Enttäuschung über Mandelbaums schwaches Abschneiden und die Tatsache, dass sein Nimbus als Unbesiegter nun genommen war, deutlich zu spüren. Zaghafte Hoffnung keimt noch einmal auf, als Mandelbaum einen – immerhin! – vierten Platz in Baden-Baden schafft, doch bei der Besprechung seiner beiden letzten Rennen, die er nur als Letzter bzw. im geschlagenen Feld beendet, wird Mandelbaum nicht einmal mehr erwähnt.

Damit endete eine so hoffnungsvoll und glorreich begonnene Karriere sang- und klanglos in purer Enttäuschung. Mandelbaum deckte immerhin bis 2004 in kleinerem Rahmen, doch war die Qualität der ihm zugeführten Stuten eher dürftig, und auch die Rennleistungen seiner Nachkommen waren praktisch durch die Bank bescheiden. „Gnadenlos“, „Träumer“, „Donkey“ und „Ach du liebe Zeit“ fallen bedauerlicherweise symptomatisch in die Kategorie „Nomen est Omen“.

Warum ich bis heute dennoch hocherfreut an Mandelbaum denke, ist leicht erklärt: Ich war gerade fünfzehn und hatte noch nie einen so schönen Pferdenamen gehört. Mandelbaum wurde in Mülheim trainiert, quasi drei Steinwürfe weit von der elterlichen Wohnung entfernt, und so war die lokale Zeitung voller Berichte über den Hengst. Derlei Schwärmerei steckt an, und da Mandelbaum, den ich in Krefeld gewinnen sah, damals für mich das schönste Pferd der Welt war, das ich unbedingt wieder live laufen sehen wollte, verdanke ich ihm meinen ersten „Solo-Rennbahn-Trip“ nach Köln – eine aufregende Sache mit dem verspäteten Zug, dann mit der (hoffentlich richtigen) Straßenbahn, dann zu Fuß den anderen Neugierigen hinterher durch Weidenpesch. Es war der Tag des Union-Rennens, ich war nach all der Unsicherheit und Nervosität doch noch rechtzeitig auf der Bahn angekommen, Mandelbaum war da, kam, sah und siegte – und ich war restlos begeistert. Im Nachhinein ist mir klar, dass ich es geschafft habe, ihn im Zenit seines Könnens laufen zu sehen. Wie gut, dass man heute nie weiß, was morgen sein wird. Und noch ein Grund mehr, um sich über heute ganz sorgenfrei zu freuen...

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