Montag, 14. März 2011

Vor 35 Jahren: Anfang und Ende...

Das griechische Alphabet wird von den Buchstaben Alpha und Omega umgrenzt, symbolisch stehend für Anfang und Ende, und ein wenig Ähnlichkeit mit diesem Paar hat auch die heutige Geschichte. Am kommenden Sonntag wird in Krefeld die Serie der Grasbahnrenntage 2011 (*freu*) eingeläutet, gewissermaßen der Alpha-Renntag der grünen Saison. Am Ende des Krefelder Rennjahres steht - zumindest heute - das Ratibor-Rennen für die Zweijährigen, das auf eine lange Tradition zurückblicken kann. 






Um genau jene Tradition ging es mir Anfang November 2009, als 35 Jahre seit dem Sieg eines Pferdes vergangen waren, das über mehrere Jahre hinweg das Rennbahnpublikum begeistern konnte und dabei zunächst vom vermeintlichen Steher zum Flieger "umschulen" musste. Aber auch in anderer Hinsicht ist die Geschichte von Kronenkranich (= der Vogel auf dem Bild) interessant und nicht unbedingt alltäglich.


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Es war einmal vor 35 Jahren

Heute geht es wieder ein wenig weiter in die Vergangenheit zurück, und wie es der Zufall so will, tatsächlich in das Jahr meiner Geburt. Zuverlässigen familieninternen Quellen zufolge habe ich das Rennen, um das es geht, tatsächlich miterlebt... wie man das eben mit vier Monaten aus der Tiefe des Kinderwagens heraus schon kann. Ich nehme mal an, dass meine Rassel damals noch deutlich interessanter war als der Ausgang des Ratibor-Rennens 1974. ;-)

Das Rennen selbst, das heute wieder in Krefeld stattfinden wird, ist eine echte Traditionsprüfung, denn es stammt bereits aus der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts und trägt seinen Namen auch seit 1891 unverändert. Das aus dem Gestüts-Preis hervorgegangene Herzog von Ratibor-Rennen war lange Zeit in Berlin beheimatet gewesen und erst nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs in den Westen Deutschlands gewandert, wo es nach einigen Jahren an verschiedenen Austragungsorten in Krefeld einen neuen und dauerhaften Veranstalter fand. In seiner Geschichte hatte es bereits eine Reihe großer Sieger und Platzierte gesehen, die auch später auf sich aufmerksam machten. Orsini, Masetto, Liebeslied, Aubergine, Bandit, Novara, Pentathlon, Caracol oder Lombard sind nur einige der sicher auch heute noch vielen Rennsport-Fans bekannten Namen aus der Chronik des Ratibor-Rennens nach dem Zweiten Weltkrieg.

Anno 1974 wurde das Ratibor-Rennen allerdings noch wie bis vor zwei Jahren üblich früher im Jahr statt im November ausgetragen. Und so öffneten sich am 22. September 1974 die Boxen im Stadtwald und sahen bei guten Bodenverhältnissen einen überlegenen Sieger, der umgehend, wie es bei großen Zweijährigenprüfungen eben Brauch ist, zu einem viel diskutierten Hoffnungsträger für die Derby-Route im kommenden Jahr avancierte: Kronenkranich, ein schwarzbrauner Hengst aus dem Gestüt Zoppenbroich, der auch bereits als 18:10-Favorit an den Start gegangen war. Diese Einschätzung konnte kaum verwundern, denn Kronenkranich brachte eine fast blütenweiße Weste mit nach Krefeld und war bei seinen drei vorherigen Starts mit einer Ausnahme ungeschlagen geblieben. Lediglich bei seinem allerersten Rennbahnversuch früh im Jahr im Kölner Versuchsrennen der Hengste hatte er sich mit einem kurzen Kopf einem gewissen Roger geschlagen geben müssen. Darauf hatte Kronenkranich aber in Köln und im Baden-Badener Zukunfts-Rennen zwei klare Siege folgen lassen.

Selbiges gelang ihm – wenn man den Augenzeugenerinnerungen meines Onkels vertraut – auch im Ratibor-Rennen des Jahres 1974. Der Richterspruch lautete jedenfalls auf „überlegen, 3 Längen“, und hinter Kronenkranich befand sich immerhin ein gewisser Frescobaldi, der Derby-Zweite des kommenden Jahres, der auch darüber hinaus eine Reihe hochrangiger Platzierungen und Siege vorzuweisen hat. Keine schlechte Konkurrenz also, aber für den von Sven von Mitzlaff trainierten und von Harro Remmert gerittenen Hengst kein Problem. Hatte man hier bereits einen möglichen Derby-Sieger für 1975 am Start gesehen?

Mitten im Winter, also genau zu der Jahreszeit, in der für die bevorstehende, aber leider noch so weit entfernt wirkende Saison besonders viel gehofft und spekuliert werden kann und darf, erreichte damals aber eine überraschende Nachricht das Rennbahnvolk: 

Kronenkranich war tatsächlich verkauft worden, und zwar zu einem außerordentlich hohen Preis. Sein neuer Eigner war Waldemar Zeitelhack, damals ein mit aller Macht aufstrebender und in Rennbahnkreisen ziemlich viel Furore machender Stahlfabrikant aus Nürnberg, mit dessen Namen heute noch besonders der Arc-Triumph eines gewissen Star Appeal verbunden ist. Und dieser Herr Zeitelhack hatte eben auch den Traum, den viele Besitzer träumen: Er wollte das Derby gewinnen, und zu diesem Zweck hatte er Kronenkranich erworben, obwohl doch noch gar nicht klar war, wie es um die Steherqualitäten des Zoppenbroicher Hengstes bestellt sein mochte. 

Nebenbei bemerkt: Interessante Einblicke in die Vorgänge rund um Kronenkranichs Besitzerwechsel gibt dieser Artikel aus dem SPIEGEL-Archiv:


Folgt man diesen Informationen, so blieb der Hengst auf Wunsch des Herkunftsgestüts bei seinem vertrauten Trainer und Jockey – sicher auch keine ganz alltägliche Entscheidung in der Welt des Rennsports. Und tatsächlich schien sich mit Kronenkranich auch 1975 alles bestens zu entwickeln. Zum Saisondebüt trat er mit Harro Remmert im Sattel gleich wieder im Krefelder Dr. Busch-Memorial an – und gewann. Ein überlegener Sieg im Henckel-Rennen, u.a. gegen einen gewissen Windwurf, festigte Kronenkranichs Stellung als Primus unter den Dreijährigen, doch das Union-Rennen sorgte für eine erste derbe Ernüchterung. War es die Tatsache, dass Kronenkranich wohl doch kein Steher war? Gab es einen anderen Grund für die Tatsache, dass er das renommierte Kölner Vorbereitungsrennen nicht gewann und nicht einmal auf dem Treppchen landete?

Wie auch immer: Kronenkranich hatte erstmals wieder eine Niederlage einstecken müssen. Doch sein Besitzer träumte natürlich weiter den Traum vom Derbysieg. In dieser Situation wiederholte Sven von Mitzlaff eine Strategie, die bereits zwei Jahre zuvor mit Athenagoras hervorragend funktioniert hatte. Er schickte den Hengst des Herrn Zeitelhack eine runde Woche vor dem Derby-Sonntag im Hamburger Otto-Schmidt-Rennen an den Start. Lange 2200 Meter betrug die Distanz, und Kronenkranich gewann erneut. War er also doch ein Steher? Die folgende Entwicklung gibt sicher weiterhin Anlass zu Spekulationen und Vermutungen, denn immerhin hatte Kronenkranich hier Königsee und (erneut) Frescobaldi besiegt, die eine Woche später als Erster und Zweiter im Derby große Meriten verdienten. Und eigentlich hätte Kronenkranich nach dieser Form doch im Rennen aller Rennen ebenfalls vorne dabei sein müssen. 

Ja, hätte, wäre, wenn...

Es kam allerdings völlig anders, denn das Derby endete mit einem absoluten Außenseiter-Einlauf, der wieder einmal die viel zitierte These bestätigen könnte, dass es sich eben um ein völlig verrücktes Rennen handelt. Ausgerechnet von Kronenkranich und seinem Stallgefährten Lord Byron war eine unabsichtliche Behinderung ausgegangen, die zu einer folgenschweren Kettenreaktion führte und neben dem großen Favoriten selbst auch einige der anderen Teilnehmer um ihre potentiellen Chancen brachte. Während vorne also Jose Orihuel mit Königsee einem denkwürdigen und emotional gefeierten Sieg entgegenstrebte, endeten die Derby-Träume von Waldemar Zeitelhack abrupt: Seine drei Pferde brachten das große Kunststück fertig, als Drittletzter, Vorletzter und Allerletzter die Ziellinie zu passieren. Es erfordert keine Fantasie sich vorzustellen, dass er sich diesen Tag in seinen Träumen vollkommen anders ausgemalt hatte.

Die Umstellung auf kürzere Distanzen erfolgte bei Kronenkranich, der später wie die übrigen Pferde von Waldemar Zeitelhack von Theo Grieper trainiert wurde, jedoch nicht sofort, so dass der Rest der Saison weiteren Grund zu Frustration und Fragezeichen bot, denn dem Hengst, in dessen Karriere der Sieg im Ratibor-Rennen wie ein Dreh- und Angelpunkt wirkt, wollte einfach nichts mehr gelingen. Dass er im Herbst in Baden-Baden während eines Trainingsgalopps seinen eigentlich vertrauten Jockey abwarf, der sich dabei zwar schwerer verletzte, aber letztlich noch einmal Glück gehabt hatte, fügt sich symptomatisch in das Gesamtbild ein. 

Erst Mitte 1976, also ein rundes Jahr nach der Derby-Schlappe, ließ Kronenkranich in Dortmund wieder mit einer besseren Leistung über eine kürzere Strecke aufhorchen. Und dabei blieb es dann auch: Auf Distanzen zwischen 1200 und 1800 Metern gelangen ihm noch eine Reihe großer Erfolge, unter denen besonders ein Gruppe-I-Sieg in Mailand herausragt. Spät, aber dafür umso nachhaltiger hatte man ein optimales Betätigungsfeld für den imposanten schwarzbraunen Hengst gefunden.

Nach dem Ende seiner aktiven Laufbahn wurde Kronenkranich Deckhengst, doch wirklich große Leistungen gelangen den meisten seiner Nachkommen, die sich wie Geneva, Bermuda, Justinian oder Sonnenkranich ebenfalls bevorzugt auf kurzen Strecken oder im Hindernissport tummelten, leider nicht.

Wie es da wohl 35 Jahre später dem heute zu kürenden Nachfolger als Sieger des Ratibor-Rennens ergehen wird? Man darf zumindest gespannt sein und in der Zwischenzeit gerne ein paar Erinnerungen an Kronenkranich oder andere Vierbeiner in der Siegerliste des Rennens (Kornado, Prince Firebird, Wauthi, Precious Boy, Esclavo, Macanal, Lirung, Lagunas, Zampano oder Abary fallen neben den oben bereits Genannten ins Auge) austauschen. 

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