Zwar ist (zum Glück!) im Moment nicht Oktober, aber trotzdem passt diese Geschichte recht gut zu der Rennbahn, auf der am kommenden Sonntag die Grasbahnsaison 2011 eröffnet werden wird, denn genau dort, im Krefelder Stadtwald, habe ich den zweibeinigen Protagonisten des Berichts im Frühjahr 2009 zum letzten Mal live gesehen. Das ist inzwischen auch schon fast zwei Jahre her - und auch über die vierbeinige Hauptdarstellerin der Geschichte wissen wir mittlerweile mehr. Sie hat den deutschen Turf-Fans als Zuchtstute mit einer Generation Verspätung eine Enkelin geschenkt, die viele Herzen im Sturm erobert hat. Vielleicht ist ja tatsächlich ein wenig Magie im Spiel, denn auf dem besagten Pferd, das vor zwei Wochen fast erneut zur Galopperin des Jahres gekürt worden wäre, ruhen auch für die Grasbahnsaison 2011 bei ihren Anhängern große Hoffnungen. Die Rennbahnleistungen ihrer Großmutter, um die es in meiner Geschichte geht, hat sie schon längst spielend übertroffen, und dennoch verbindet sich auch mit jener Stute ein ganz besonderer Moment in der Geschichte des deutschen Galopprennsports...
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Es war einmal vor 19 Jahren
Es ist rein nach Jahreszahlen gerechnet kein ganz rundes Jubiläum, an das die Rubrik „Es war einmal...“ heute erinnern soll, doch ist der Anlass – nämlich die morgige Neuauflage des Nereide-Rennens in München-Riem einfach zu verlockend, um ihn ohne einen kleinen nostalgischen Text verstreichen zu lassen. Damals nämlich, am 20. Oktober 1990, gab es nicht nur den Sieg einer Stute namens Noveka zu feiern, die aus gewissen Gründen auch heute noch sehr aktuell ist, sondern zusätzlich ein vor neunzehn Jahren schon seit geraumer Zeit mit großer Spannung herbeigesehntes Jubiläum für einen der zweibeinigen Akteure auf der Rennbahn.
Weltpolitisch gesehen mag die Entscheidung des Nereide-Rennens vor 19 Jahren kaum eine große Bedeutung gehabt haben, denn immerhin wurden in jenem Jahr die beiden deutschen Staaten wieder vereinigt. Auch die Stürmung der Stasi-Zentrale durch aufgebrachte Bürger in Berlin, die Unabhängigkeitserklärungen der baltischen Staaten, das folgenschwere Attentat auf Wolfgang Schäuble, die Freilassung Nelson Mandelas aus jahrelanger Haft in Südafrika und wahrscheinlich selbst die Tatsache, dass am 7. Januar der Schiefe Turm von Pisa aus Sicherheitsgründen für Touristen gesperrt wurde, weil er noch schiefer geworden war, dürften wesentlich größere Aufmerksamkeit auf sich gezogen haben als das, was am 20. Oktober in Gelsenkirchen-Horst geschah. Im kleinen Kosmos des deutschen Galopprennsports hatten die Rennbahngänger jedoch schon seit Wochen vor allem die Ritte eines ganz bestimmten Jockeys mit enormer Spannung verfolgt.
Es handelte sich um einen dem deutschen Rennbahnpublikum seit Jahrzehnten wohlbekannten Ungarn namens Peter Alafi, der auf einen fast schon magisch wirkenden Rekord zusteuerte, den viele als für die Ewigkeit gemacht betrachtet hatten. Es ging um das Übertreffen einer zumindest im deutschen Kontext schwindelerregenden Marke von 2.218 Siegen. Genau diese Zahl von Treffern war nämlich Jahrzehnte zuvor Otto Schmidt in seiner aktiven Jockey-Karriere gelungen. Dass dieser Rekord einmal eingestellt oder gar übertroffen werden könnte, war lange Zeit für illusorisch gehalten worden. Doch Schritt für Schritt, mit einer faszinierenden Mischung aus Fleiß, Durchhaltevermögen, Geschick und sicher auch dem Glück, trotz mancher Eskapaden hervorragende Anstellungen an führenden Ställen in Deutschland zu finden, wo entsprechend viele gute Ritte anfielen, hatte Peter Alafi sich an diese Traummarke herangearbeitet.
Dass er 1990 bereits zu den absoluten Senioren innerhalb der deutschen Jockeyriege zählte, störte Alafi, der schon seit 1977 als Stalljockey am Kölner Olymp-Stall tätig war und auch nach dem gesundheitsbedingten Rückzug Sven von Mitzlaffs unter dessen Nachfolger Harro Remmert im Amt geblieben war, mit seinen 54 Jahren wenig. Im Gegenteil – manch einer sprach gerne von Alafis „zweitem Jockeyfrühling“. Dass ich mich noch an so manch einen Glanzritt des Ungarn erinnern kann und die Rekordjagd des Jahres 1990 sehr aktiv mitverfolgte, hat viel damit zu tun, dass Peter Alafi zu jener Zeit der absolute Favorit meines Onkels unter den in Deutschland tätigen Reitern war. Und so gab es bei unseren Rennbahnbesuchen im Sommer und Herbst 1990 kaum ein anderes Gesprächsthema als die Frage, wann die magische Zahl geknackt werden würde.
Dass Peter Alafi sie erreichen würde, schien klar – eher ging es darum, wann und unter welchen Umständen dies geschehen würde. Es war nämlich wie so oft, wenn ein Mensch ein großes Ziel vor Augen hat: Plötzlich hakte es ein wenig. Damals fleißig gesammelte und im Tagebuch eingeklebte Zeitungsausschnitte von den Mülheimer Renntagen aus der WAZ zeigen jedenfalls, dass Peter Alafis Punktejagd spätestens seit den Sommermonaten auch außerhalb der rennsportbezogenen Presse ein Thema geworden war. „Nun fehlen Peter Alafi nur noch fünf Punkte. Dann ist Otto Schmidts Rekord eingestellt“ titelte die Ruhrgebietszeitung beispielsweise Anfang September, um nur zwei Wochen später (ja, damals gab es noch regelmäßig Rennen in Mülheim auf dem Raffelberg) akribisch nachzuzählen: „Jockey Peter Alafi blieb mit Gonatus und Scirocco erfolgreich und kann nunmehr auf 2215 Siege verweisen.“ Der 2216. Treffer glückte Mitte September mit Truneba aus dem eigenen Stall in Köln und heizte die Rekordstimmung gewaltig an.
Die Sport-Welt kannte inzwischen fast kein anderes Thema mehr, doch nachdem Alafi im Verlauf des Jahres immer wieder auch mehrere Siege an einem Renntag gelungen waren, schien plötzlich ein wenig Sand im Getriebe zu sein. So oft Alafi in den folgenden drei Wochen auch mit einem chancenreichen Pferd am Start war – irgendwie wollte und wollte es einfach nicht mehr funktionieren.
Endlich – am 10. Oktober 1990 – markierte ausgerechnet der Schwarzwurzel (wer nennt ein Pferd denn so???)-Sohn Silverghost den 2217. Siegtreffer. Nur noch einen... nur noch einen... Nun musste es doch wirklich bald soweit sein!
Doch wieder mussten die mittlerweile gebannt auf den großen Moment wartenden Alafi-Fans warten, denn erneut scheiterten eine Reihe guter Chancen, so zum Beispiel mit der denkbar knapp geschlagenen Zoppenbroicher Stute Festival, die ich nicht nur wegen ihres Namens sehr mochte. „Unter normalen Umständen hätte das alte Schlitzohr das immer gewonnen!“, höre ich meinen Onkel heute noch am Absattelring grummeln. „Hat wohl Lampenfieber...“
Ob diese Einschätzung nun zutrifft, mag dahingestellt bleiben. Das wartende Publikum musste sich eben einfach noch ein wenig gedulden. Dass der große Treffer dann aber ausgerechnet im Nereide-Rennen – nur einem von zwei Ritten, die Peter Alafi an jenem Tag in Gelsenkirchen bekommen hatte – gelingen würde, war keineswegs abzusehen, denn Noveka aus dem Gestüt Erlengrund hatte im Verlauf der Saison 1990 zwar schon einen Ausgleich III gewonnen und war immer treu ins Geld gelaufen, aber dass sie wirklich als Favoritin die Startbox bezog, kann bei einer Quote von 67:10 nicht behauptet werden. Größere Chancen hatte man vorab Landliebe sowie der Ittlingerin Alpha Belle und der Fährhoferin Lindera eingeräumt. Diesmal jedoch war auch das Glück auf Peter Alafis Seite, so dass er mit der Schimmelstute das Nereide-Rennen klar und deutlich mit drei Längen Vorsprung für sich entscheiden konnte.
Damit waren endlich 2218 Siege geschafft und der Jahrhundertrekord von Otto Schmidt eingestellt. Es war also kein Wunder, dass das Siegergespann im Horster Absattelring gebührend gefeiert wurde. Ich war dabei und habe mitgeklatscht! In der Sport-Welt gab es am folgenden Dienstag dann neben begeisterten Zeilen über das große Ereignis auch das Bild jener Szene, die ich auch nach neunzehn Jahren noch fotografisch scharf im Gedächtnis habe: Noveka steht stolz in die Runde schauend im Absattelring der Gelsenkirchener Rennbahn und lässt sich gleichzeitig von ihrem sichtlich erleichterten und stolzen Jockey Peter Alafi sowie ihrem Trainer Harro Remmert zum Dank für die erbrachte Leistung streicheln und tätscheln. Ob sie wohl geahnt hat, dass die Menschen an den Rails nicht nur ihr applaudierten?
Der anschließende Jubel war naturgemäß groß und die Ehrungen fielen zahlreich aus, auch wenn der Jockey, der den Jahrhundertrekord egalisiert hatte, sich in einem Interview mit der WAZ vor den Feierlichkeiten eher zu fürchten schien: „Bei so einem Rekord muss man natürlich feiern, alle erwarten jetzt eine Riesenfete. Das kostet bestimmt ein Vermögen, und dann kommen zehntausend Leute. Eine kleine Party wäre mir eigentlich lieber.“ Ich kann mir nicht helfen, aber nach den zahlreichen Anekdoten, die ich früher über den manchmal wohl recht kauzigen Peter Alafi erzählt bekommen habe, scheint dieses Zitat wunderbar ins Bild zu passen.
Ob es diese Sorgen waren, die den Meisterjockey dazu brachten, bis zu seinem endgültigen Rekordsieg einen weiteren Monat verstreichen zu lassen, kann nur spekuliert werden. Doch Mitte November war dann auch dieses Projekt geschafft: der 2219. Sieg war mit Wonder Wood unter Dach und Fach, und somit hatte Peter Alafi Otto Schmidt endgültig von der Spitzer der ewigen Siegwertung im deutschen Turf verdrängt. Nachdem dieses Vorhaben dann erst einmal erledigt war, lief es mit dem Siegen auch wieder deutlich flüssiger, so dass Alafi bis zum Ende des Jahres 1990 noch fünf weitere Treffer einsammeln konnte.
Unmittelbar nach dem Gewinn des Nereide-Rennens war der inzwischen auch nicht mehr ganz jugendliche Jockey von der Sport-Welt gefragt worden, wie lange er denn noch im Sattel zu sitzen gedenke. Alafi hatte eher vage geantwortet – zumindest noch ein weiteres Jahr, denn er fühle sich fit und munter. Erst danach werde er überlegen, wie viel Zeit er weiter als Jockey aktiv sein wolle. Dass ihm diese Entscheidung anderthalb Jahre später durch einen ärgerlichen Sturz von Weinberg an der Startstelle in Köln abgenommen werden sollte, hat er natürlich nicht erahnen können. Doch das Bein war kompliziert gebrochen, und so bleib ihm letztlich keine andere Wahl, als die Rennstiefel mit erheblichem Bedauern an den Nagel zu hängen.
Zum Zeitpunkt des Sturzes im Juli 1992 hatte Peter Alafi es auf insgesamt 2307 Siege gebracht, und so steht diese Summe noch heute. Dies ist die Marke, die jeder Jockey als neue Rekordmarke vor Augen hat. Ob es irgendwann einmal wieder einem Reiter gelingen wird, sich an diese enorme Zahl heranzutasten und nach einer sicherlich langen und erfolgreichen Jockeykarriere die Leistung von Peter Alafi zu übertreffen? Eine Handvoll möglicher Kandidaten gibt es wohl schon, aber noch ist ein neues Jubiläum nicht in Sicht.
In den Jahren nach dem Ende seiner aktiven Laufbahn sah man Peter Alafi zunächst häufig auf den deutschen Rennbahnen, teils auch als Mitbesitzer einiger Pferde mit eher bescheidenem Talent. Inzwischen sind diese Tage selten geworden. Im Frühjahr 2009 jedoch war er – inzwischen mit schneeweißen Haaren – noch einmal in Krefeld unterwegs, traf am Führring unter anderem Hein Bollow und ließ sich mit ihm fotografieren.
Noveka aber, die Stute, mit der ihm der große Treffer gelungen war, hatte mit dem Sieg im Nereide-Rennen ihre aktive Rennlaufbahn ebenfalls beendet. Black Type war zwar nicht gewonnen worden, denn anders als heute hatte das Nereide-Rennen damals noch keinen Listen-Status, aber das Heimatgestüt Erlengrund reihte Noveka dennoch in seine Stutenherde ein. Die Tatsache, dass sie die einzige Tochter einer gewissen Novelle – ihres Zeichens immerhin Diana-Siegerin des Jahres 1983 – war, hat diese Entscheidung sicher relativ leicht gemacht.
Aller Anfang ist jedoch manchmal schwer – diese Floskel scheint auf die Gestütskarriere von Noveka wahrlich zu passen. Und noch eine Beobachtung drängt sich auf: Manche große Leistung braucht Zeit. Noveka jedenfalls tat sich mit dem Trächtigwerden und -bleiben zunächst ausgesprochen schwer. Mehrere Jahre hintereinander blieb sie güst oder verfohlte. Inzwischen war sie bereits an das Gestüt Etzean verkauft worden. Doch auch dort benötigte man Geduld mit Noveka, denn erst im höheren Alter wurde und blieb die edel gezogene Schimmelstute mehrfach trächtig.
Mit ihren Nachkommen war es aber so eine Sache – wirkliche Bäume hat keins von Novekas Kindern auf der Rennbahn ausgerissen, wenn sie denn überhaupt je an den Start kamen. Eine gewisse Ausnahme bildet da immerhin eine durch den zweiten Platz in einem Listenrennen mit Black Type ausgezeichnete Monsun-Tochter namens Night Woman. Und wer weiß – vielleicht geht jetzt dem einen oder anderen Leser ein Lichtlein auf. Night Woman? Ja, genau die... die Mutter von Night Magic, der aktuellen Diana-Siegerin nämlich – eine Schimmelstute nebenbei, ganz wie ihre Großmutter Noveka, der sie, wenn man den Fotos aus den 90er Jahren trauen darf, auch sonst durchaus ähnlich sieht. Night Woman scheint im Gegensatz zu ihrer Mutter aber keine Fruchtbarkeitsprobleme zu haben, denn inzwischen hat sie eine Reihe von Kindern, die teilweise schon im Training, aber zum größten Teil noch ungelaufen sind. Man darf auf die Zukunft dieser Linie, in der Noveka einen Baustein bildet, gespannt sein!
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