Dienstag, 5. April 2011

Vor 25 Jahren: Hosianna machte den Anfang

Zur Abwechslung gibt es heute einen erst vor wenigen Tagen geschriebenen Beitrag, der sich mit den Themen "Neubeginn und Weiterführen alter Traditionen" beschäftigt - im Hinblick auf den gerade (endlich!) überall wild ausbrechenden Frühling vielleicht ganz passend. Was ich unter anderem am Galopprennsport so mag, sind das Weiterverfolgen von Traditionslinien und die Herausbildung von "Familien" - einerseits natürlich in der Vollblutzucht, andererseits aber auch immer wieder bei den Menschen, die sich mit diesen wunderbaren Pferden beschäftigen. 


Die folgende Geschichte ist da nur ein Beispiel unter vielen anderen... 



Es war einmal vor 25 Jahren… 

„Aufgalopp“ – so titelte die Website des Trainingsquartiers von Andreas Wöhler am 1. April, und tatsächlich ging es für den Gütersloher am vergangenen Sonntag in Köln los mit der neuen Saison auf Gras, nachdem 2011 bislang nur wenige Starter aus seiner Obhut auf Sand gelaufen waren. Am ersten Aprilsonntag aber wollte man selbstverständlich bei sechs Chancen gleich richtig durchstarten – ein Vorhaben, das zunächst nicht richtig gelang, denn ein Sieg glückte trotz aller Bemühungen weder bei den hoffnungsvollen Dreijährigen, noch im ersten Grupperennen 2011 mit Russian Tango. 



Immer konnte es die Pferde anderer Trainer ein wenig besser, aber für Andreas Wöhler ist dies kein Grund, um ihn Panik auszubrechen. "Gut Ding braucht Weil" titelt seine Website nun - und damit hat er zweifellos Recht. Das wird schon noch...

Als Trainer Andreas Wöhler vor 25 Jahren um diese Zeit in die damals brandneue Saison 1986 aufbrach, geschah dies unter drastisch anderen, sehr traurigen Vorzeichen: 

Es ist ein Schicksalsschlag, den sich wohl keine Familie wünscht. Und doch wird diese Situation immer wieder von einem Moment zum nächsten harte Wirklichkeit: Plötzlich, verursacht durch ein Versagen der Gesundheit, fällt ein Elternteil aus, an dessen selbstständiger Arbeit die ganze Familie hing. Da werden Lebensentwürfe und Träume schlagartig hinfällig, und so manch ein Kind muss einspringen, wo Vater oder Mutter nicht mehr können. Gleichgültig um wie viele Nummern die Schuhe zu groß scheinen, in die der Nachwuchs auf einmal notgedrungen schlüpfen muss – irgendwie muss es eben weitergehen. 

In der geschilderten Lage befand sich vor 25 Jahren auch eine dem Galoppsport eng verbundene Familie aus Bremen, deren Name – Wöhler – damals wie heute allen Rennbahnbesuchern selbstverständlich ein Begriff ist. Andreas Wöhler, der inzwischen schon seit mehreren Jahren nicht mehr in Bremen, sondern als einer der führenden deutschen Trainer auf dem Gestüt Ravensberg bei Gütersloh ansässig ist, war dieser Sohn, der von einem Tag zum nächsten die Arbeit übernahm, die sein Vater, der Trainer Adolf Wöhler, nach einer schweren Herzerkrankung nicht mehr ausführen konnte. 

So geplant war dies wohl kaum, zumindest nicht zu dem Zeitpunkt, als das Herz Adolf Wöhlers im Herbst 1985 das erste Mal versagte. Liest man die vor wenigen Tagen auf der hervorragend gestalteten Website des Trainers veröffentlichten Erinnerungen an die Geschehnisse der Jahre 1985 und 1986





wird mit Händen greifbar, wie schwierig dieses Einspringen für den erkrankten Vater war, denn der hatte jahrelang überaus erfolgreich von der Bremer Vahr aus mit seinen Schützlingen agiert und dabei gerade auch im Hindernisbereich viele Starter und Sieger gesattelt. Mehrfach war er Trainerchampion in diesem Metier, doch seine beiden größten Erfolge waren zweifellos die zwei Derbysiege 1975 mit Königssee und 1977 mit Surumu.


Trainer Adolf Wöhler
 
Auch 1985 florierte der Bremer Stall von Adolf Wöhler auf beiden Sektoren: Zu 39 Siegen auf der Flachen waren bis Mitte November 17 Treffer über die Hindernisse gekommen. Zwar war diese Saison nicht ganz so erfolgreich verlaufen wie die beiden beeindruckenden Vorjahre, aber dennoch gab es eigentlich keinen Grund zur Unzufriedenheit. Schaut man in die Einzelstatistik für 1985, so begegnen einem dort immer wieder Namen bei den für Adolf Wöhler tätigen Reitern, die heute in ganz anderen Kontexten Bedeutung haben. Neben seinem Sohn und Nachfolger Andreas, der damals noch als Amateur vor allem in Jagdrennen im Sattel war und es 1985 immerhin auf zwölf Siege brachte, sowie Stephen Eccles finden sich hier auch solche Rennreiter wie Andreas Schütz, Stefan Wegner und nicht zuletzt ein gewisser (damals noch blutjunger) Peter Schiergen. 

Noch am 16. November 1985 war Adolf Wöhler mit dem Pferd Wunsch auf der Gelsenkirchener Galopprennbahn ein letzter Sieg in einem Jagdrennen gelungen. Auch am darauffolgenden Sonntag stellte er mit Spring Boy und Sweet Memory noch einmal zwei Starter in Neuss, doch schon eine Woche später stand nicht mehr sein Name, sondern der seines Sohnes Andreas als Trainerangabe hinter den Pferden Lourenco und Shelta, die für den Wöhler-Stall in Köln an den Start kamen. Eine Trainerlizenz hatte der Filius zu jenem Zeitpunkt noch nicht, aber irgendwer musste ja die Stallgeschäfte weiterführen. Und auch wenn Andreas und Adolf Wöhler offenbar den Traum gehabt hatten, eines Tages einmal gemeinsam Rennpferde auf einer privaten Anlage vorzubereiten, hatte wohl niemand damit rechnen können, dass der Ende 1933 geborene Vater im Alter von nur 51 Jahren so schwer erkranken und im darauffolgenden Jahr am 14. März 1986 versterben sollte. 



Adolf und Andreas Wöhler - ein sehr aussagekräftiges Foto von der Website des Ravensberger Trainers 

Parallel zu den intensiven Anforderungen eines Rennstalles absolvierte Andreas Wöhler nun früher als erwartet Lehrgänge und Prüfungen zum Erwerb einer eigenen Trainerlizenz. Dass es auch in der Notlage irgendwie weiterging, zeigen die beiden Siege, die dem Wöhler-Stall bis Ende 1985 noch gelangen. Beide Treffer mit dem Halbblüter Sämann und dem sehr erfolgreichen Wallach Park Rainbow, die jeweils von Stefan Wegner geritten wurden, erfolgten noch im Dezember 1985 über die Sprünge. Auf der Flachen ließ der erste Sieg aber zunächst, da sich das Jahr dem Ende zuneigte, noch auf sich warten. 

Erst neun Tage nach dem Tod seines Vaters, der sich eigentlich nach einer Operation schon wieder auf dem Weg der Besserung zu befinden schien, durfte Andreas Wöhler auch seinen ersten Sieger in einem Flachrennen vom Geläuf abholen. Es war der 23. März 1986, Ort des Geschehens war die Rennbahn in Hannover-Langenhagen, und im angemessen frühlingshaft betitelten Krokus-Rennen ging ein Pferd namens Hosianna an den Start, das später in der Zucht an Horeion Directa, Harar und Horatius in der ersten und zweiten Generation einige recht gute Nachkommen brachte. 

Für die blutjunge, aus der Not geborene Trainerkarriere von Andreas Wöhler war Hosianna, die gleich beim ersten Start unter seiner Ägide und beim ersten Start des Trainers überhaupt in jener Saison für den ersten Treffer sorgte, ein wichtiges Pferd, denn auch wenn sie sich vornehmlich in Ausgleichen IV und III tummelte, avancierte sie doch 1986 zur fünffachen Siegerin. Damit steuerte sie beinahe zehn Prozent der Siege bei, die das Jahr 1986 für Andreas Wöhler mit 52 Trainererfolgen zu einem wahren Traumstart im neuen Metier werden ließen. 

Zu Krokussen passen Veilchen, und beide sieht man derzeit, da der Frühling mit Macht ausgebrochen ist, allerorten. Und so war es nur passend, dass drei Rennen auf der Tageskarte später an jenem 23. März 1986 in Hannover auch der zweite Wöhler-Starter, ein Fährhofer namens Pardo, den Zielpfosten als Erster passierte. Auch für ihn blieb es mit drei Siegen in jener Saison nicht der einzige Treffer. 

Für meinen Patenonkel und mich lagen die Rennbahnen in Bremen und Hannover damals ziemlich weit „ab vom Schuss“, wie man im Ruhrgebiet so schön sagt, und daher war mir als Kind Adolf Wöhler nie besonders aufgefallen. Zwar trainierte er wie heute sein Sohn Andreas immer auch ein paar Fährhofer Pferde, aber die hatten meinen Onkel nur interessiert so lange sie bei seinem erklärten Lieblingstrainer Sven von Mitzlaff in Köln standen. Dennoch hat er mich in jenem Jahr einmal ausdrücklich auf den Neutrainer Andreas Wöhler aufmerksam gemacht und mir die – wie ich fand, sehr traurige – Hintergrundgeschichte erzählt, während wir am Mülheimer Führring standen. Dies war übrigens auch der Tag, an dem der junge Jockey Peter Schiergen in mein Bewusstsein gerückt wurde – und zwar genau im gleichen Moment, und sogar die Worte meines Onkels habe ich noch im Ohr, als er mit dem Kinn in Richtung der Trainer-Jockey-Lagebesprechung im Führring nickte und murmelte: 

„Was sind die zwei noch jung! So richtige Milchbubis! Da kannst du nur hoffen, dass das auch auf Dauer gut geht! Aber alle Achtung, das würd ich nicht machen wollen, so holterdipolter so einen schweren Job übernehmen. Nur manchmal hast du halt keine Wahl.“ 

Er hat dies übrigens sehr mitfühlend gesagt, denn hätte er selbst nicht einen älteren Bruder gehabt, wäre es ihm mit dem heimischen Handwerksbetrieb vielleicht ähnlich ergangen, als sein Vater durch einen Unfall arbeitsunfähig wurde. 
Ich aber stand da und habe die beiden jungen Männer angestarrt, die ich zuvor noch nie bewusst wahrgenommen hatte. 

„Und, was meinst du? Kleine Wette trotz Höchstgewicht?“ 

Ob wir am Ende an jenem 16. Juli 1986 auf Lourenco, der zuvor in Hamburg ein Jagdrennen an seine Fahnen geheftet hatte, gesetzt haben, weiß ich gar nicht mehr. Gewonnen hat er auf jeden Fall diesen alles andere als aufregenden Ausgleich IV und damit einen weiteren kleinen Beitrag dazu geleistet, dass Andreas Wöhlers erste Saison als Trainer ein voller Erfolg wurde. 


Dass der zweite junge Mann, der damals noch seine Rittorder umzusetzen hatte, ein gewisser Peter Schiergen, in den folgenden Jahren einen kometenhaften Aufstieg in die Spitzengruppe der in Deutschland tätigen Jockeys erleben und schließlich nach dem Ende seiner aktiven Reiterlaufbahn auch als Trainer großartige Erfolge feiern würde, konnte damals natürlich niemand ahnen – ebensowenig wie die Tatsache, dass die zwei „Milchbubis“, wie mein Onkel sie ironisch bezeichnete, 25 Jahre später zu den absoluten Top-Trainern mit den größten, qualitativ hochwertig besetzten Quartieren in Deutschland zählen würden. 

Am Sonntag liefen unter anderem ihre Schützlinge Altair Star und Russian Tango im Kölner Grupperennen gegeneinander. In dieser Begegnung hatte der Ammerländer Vierjährige aus dem Schiergen-Stall, dem man vorab weitaus geringere Chancen eingeräumt hatte, als Zweiter deutlich vor dem Viertplatzierten Russian Tango von Andreas Wöhler das bessere Ende für sich. Schon im nächsten Aufeinandertreffen von Pferde aus zwei der führenden deutschen Rennställe kann der Ausgang umgekehrt sein. Warten wir es einfach ab...



Damals vor fünfundzwanzig Jahren war für den neuen Trainer Andreas Wöhler mit den Siegen von Hosianna und Pardo ein Anfang gemacht – ein Anfang in einer schweren Zeit.

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