Freitag, 8. April 2011

Vor 25 Jahren: Mehr als ein Vulkan.

Genau vor einem Jahr habe ich den folgenden Text verfasst, der an einen der ganz großen (nach Meinung vieler Fans DEN größten!) vierbeinigen Helden der jüngeren Galoppsportgeschichte erinnert. Somit ist es heute genau 26 Jahre her, seit sich in einem Rennen für Dreijährige auf der Kölner Rennbahn ein ganz besonderes Rennpferd dem Publikum vorstellte.


Acatenango - der Vulkan, nicht das Rennpferd...



Es war einmal vor 25 Jahren

Heute vor 25 Jahren, am 8. April 1985, war Ostermontag. Auch wenn es sich sage und schreibe bereits um den fünften Renntag dieser noch jungen Saison im Weidenpescher Park handelte, war es doch die erste Veranstaltung, die mit dem Kölner Frühjahrsausgleich als Listenrennen sowie dem Jean Harzheim-Rennen für die hoffnungsvollen Dreijährigen wieder ein anspruchsvolleres sportliches Programm bot.

Und tatsächlich mag so manch ein Rennbahnbesucher, der damals dort gewesen ist, sich im Nachhinein der Tatsache bewusst geworden sein, dass er Zeuge eines ganz besonderen Renntags geworden war. Im fünften Rennen der Tageskarte, dem schon erwähnten Jean Harzheim-Rennen, hatte nämlich ein Hengst sein Jahresdebüt gegeben, der sogleich gewann, auch wenn ihm vor dem Start des Rennens keine großartigen Chancen eingeräumt worden waren. Eine Siegquote von 92:10 und die Tatsache, dass sich der Stalljockey für ein anderes Pferd, das in den gleichen Rennfarben als haushoher 15:10-Favorit in die Startboxen einrückte, entschieden hatte, belegt, dass vielen Augenzeugen wohl erst in der Nachschau die Besonderheit jenes Moments deutlich geworden ist, als ein dreijähriger Fuchshengst mit Lutz Mäder im Sattel sicher mit zwei Längen Vorsprung vor den übrigen Startern die Ziellinie passierte.

Ob sie damals schon geahnt haben, was noch folgen würde? Wohl kaum...

Überhaupt ist das mit rückschauenden Erinnerungen ja so eine Sache. Nicht selten verändert sich der Blickwinkel auf bestimmte Ereignisse und Dokumente auf eine ganze amüsante Weise, weil man später eben mehr weiß als die Zeitgenossen, die – so liegt es in der Natur der Sache – stets nur den eigentlichen Moment miterleben und auf die Zukunft nur hoffen können. So war es auch bei jenem Fuchshengst, der bald schon Schlagzeilen über Schlagzeilen produzieren und zu einem der meistgeliebtesten Rennpferde auf deutschen Bahnen aufsteigen sollte. Am 8. April 1985 war zunächst einmal ein Anfang gemacht worden. In welche Höhe die Reise noch führen würde, hat wohl damals noch niemand gewusst.

Aus eben diesem Grund erscheint in der Nachschau auch die Tatsache, dass er – der große Acatenango, denn von ihm ist natürlich die Rede – sich bereits als Zweijähriger auf ein Foto im Album des Rennsports 1984 „verirrt“ hatte, so faszinierend. 

Acatenango - noch (!) eher unbeachtet

Kaum ein Mensch schenkt ihm auf diesem Bild, das an einem sonnigen Spätherbsttag in Weidenpesch geknipst wurde, überhaupt Aufmerksamkeit. Ruhig und entspannt läuft der zweijährige Acatenango am Führzügel nach dem Rennen seines Weges, und eigentlich ist er überhaupt nur deshalb auf dem Bild, weil sein Jockey Horst Horwart, der nicht eben begeistert aussieht, die gleichen Rennfarben trägt wie der Reiter des nachfolgenden Pferdes. Im Gegensatz zu Acatenangos Reiter hat Georg Bocskai sichtlichen Grund zur Freude, denn er sitzt ja schließlich auf dem frisch gekürten Winterfavoriten des Jahres 1984, auf Lirung, dem ganz großen Star unter den Zweijährigen jener Saison. Vor wenigen Minuten erst hat Lirung eine beeindruckende Demonstration seines Könnens gegeben, hat die Gegnerschaft in Grund und Boden gestiefelt, und wird nun gemeinsam mit seinem Jockey vom Publikum bewundert, beklatscht und auf dem Rückweg zur Waage gefeiert. Kein Wunder, dass Georg Bocskai unter dem letzten goldenen Herbstlaub an den Ästen über beide Backen strahlt.

Acatenango hingegen... nun ja, die Miene von Horst Howart spricht Bände. Das war nichts. So gar nicht...

Überhaupt war Acatenangos Zweijährigensaison trotz des erfolgreichen Ablegens der Maidenschaft im zweiten Versuch noch nicht das Gelbe vom Ei gewesen. Immerhin war er ein Sohn von Derby-Sieger Surumu. Seine Mutter Aggravate hatte zwar in der Zucht noch keine Bäume ausgerissen, aber dennoch mag der zehnte Platz im ersten Versuch eine ebenso herbe Enttäuschung gewesen sein wie die Tatsache, dass Acatenango nach zwei ordentlichen dritten Plätzen im Preis der Winterfavoriten nur weit abgeschlagener Fünfter wurde. Dass er bei seinem einzigen Sieg in jener Saison - ausgerechnet im Preis des Gestüts Fährhof - an Burattino und Smaragd immerhin zwei alles andere als schlechte Pferde besiegt hatte, konnte man damals ja noch nicht wissen.

Aber selbst wenn der zweijährige Acatenango sich noch nicht mit großem Rennbahn-Ruhm bekleckert hatte, hatte man ja in den schwarz-gelben Farben in jener Saison einen ganz großen Star am Start, in dessen Schatten auch der dreijährige Acatenango noch lange stehen sollte - eben jenen Lirung, den Winterfavoriten, dem alle Hoffnungen für die Saison 1985 galten.

Über Winter muss der nach einem südamerikanischen Vulkan benannte Acatenango allerdings heimlich, still und leise eine erstaunliche Entwicklung durchgemacht haben. Dies geschah offenbar so heimlich, still und leise, dass sie zunächst auch an seinem Betreuer Heinz Jentzsch und Stalljockey Georg Bocskai vorbeigegangen sein muss, denn der saß am 8. April 1985 auf Aguarico, noch einem wahrlich nicht schlechten Rennpferd dieser großen Ära für das Gestüt Fährhof, und verlor. Nur einmal, als es keinen anderen Stallgefährten im gleichen Rennen zu reiten gab, hat Georg Bocskai in jenem Jahr überhaupt Acatenango geritten, nämlich bei seinem zweiten Saisonsieg Anfang Mai im Eugen Fürst zu Oettingen-Wallerstein-Rennen in München. Ansonsten lag er partout immer falsch, denn gleich ob er nun Lirung, Abary oder Aguarico gegenüber Acatenango den Vorzug gab, so galt eine goldene Regel: Acatenango gewann, Georg Bocskai saß auf dem falschen Pferd.

Es war eine wahrhaft spektakuläre Dreijährigensaison, die Acatenango 1985 auf die deutschen Rennbahnen zauberte, und mit der er das Herz vieler Rennbahngänger im Sturm für sich eroberte. Er gewann, und gewann, und gewann, und gewann... Es schien kein Halten für den stattlichen Fuchshengst zu geben. Langsam, dann immer schneller sprach sich das natürlich herum, auch wenn der große Schattenspender Lirung parallel ebenfalls großartige Leistungen bot. Und irgendwann erreichte der Name Acatenango auch meine knapp elfjährigen Ohren.

Nun verirrte sich ein Pferd vom Kaliber eines Acatenango, der durch seine Siegesserie dabei war, zu einem der hoffnungsvollsten Dreijährigen der Saison 1985 aufzusteigen, normalerweise nicht mehr auf die Mülheimer Rennbahn. Er war ja ein Hengst, keine Stute, und somit kein Kandidat für den Preis der Diana. Dennoch bekam ich mit all meinem damals noch arg beschränkten Rennbahnhorizont große Lust, diesen angeblich so tollen Acatenango einmal selbst zu sehen. Und tatsächlich hätte ich es Mitte Juni 1985 beinahe geschafft. Mein Onkel wollte zum Union-Rennen und hätte mich mitgenommen, aber noch ehe ich mich freuen konnte, machte mir Tante Ediths (andere Seite der Familie ohne jedes Verständnis für die Faszination, die Rennpferde ausüben können) fünfzigster Geburtstag einen Strich durch die Rechnung.

Acatenango gewann also, und ich war auf Tante Ediths Geburtstag. Auch ein schicker vorpubertärer Trotzanfall meinerseits hatte meine Eltern nicht umstimmen können. Nicht einmal die Fernsehübertragung durfte ich sehen, denn just an jenem Tag lief meiner Erinnerung nach Tennis, also sahen wir nicht fliegenden Hufen zu, sondern verfolgten das gleichförmige Plop-Plop von Tennisbällen. Hätte meine Antipathie gegenüber Boris Becker noch größer werden können? Wohl kaum.

Ich musste also bis zum folgenden Tag warten, als ich meinen Onkel beim Mülheimer Renntag auf dem Raffelberg wie immer am Führring traf und er mir von Acatenangos überlegenem Sieg im Union-Rennen berichtete. Er war regelrecht enthusiastisch, und das wollte etwas heißen, denn eigentlich konnte mein Onkel aus Prinzip mit den Pferden des Asterblüte-Stalls wenig anfangen, und obendrein hatte Acatenango ja gerade erst seinen neu entdeckten Liebling Kamiros aus dem Olymp-Stall von Sven von Mitzlaff besiegt. Dass er dennoch am gleichen Tag eine höhere Wette auf Acatenango im Derby anlegte, war ein deutliches Zeichen.

Es war auch eine Investition, die sich wenig später gelohnt hatte, denn am 7. Juli 1985 holte sich Acatenango überaus souverän den Derbysieg, obwohl er wieder nur in der zweiten Farbe seines Stalls und zu einer recht lukrativen Quote von 40:10 an den Start ging. Der Grund für die relativ hohen Odds mag wohl auch damit zu tun haben, dass Georg Bocskai sich erneut nicht für Acatenango, sondern eben für den folgerichtigen Favoriten Lirung entschieden hatte. Der jedoch hatte schon eingangs der Zielgeraden, nachdem er zunächst voller Energie dem Feld vorweg gestiefelt war, Acatenangos Stehvermögen und unwiderstehlichem Antritt nichts entgegenzusetzen, so dass er in einem reinen Jentzsch-Einlauf am Ende gar noch von der dritten Stallfarbe Pontiac aus dem Gestüt Bona abgefangen wurde.

Dieses Rennen habe ich am Fernsehen miterlebt, und noch heute finde ich es beeindruckend, die alten Aufnahmen wieder zu sehen und das erstaunte Schreien des Publikums zu hören, als Acatenango Lirung plötzlich stehen ließ. Im Sattel des Hengstes saß mit Andrzej Tylicki übrigens ein damals noch kaum bekannter junger polnischer Jockey, den ich immer sehr gerne reiten sah.   
        
Wer diese beeindruckenden Rennbahn-Momente noch einmal miterleben möchte, kann dies hier tun. Die Bildqualität mag nach so vielen Jahren nicht mehr optimal sein, aber Manfred Chapmans leidenschaftlicher Kommentar macht das locker wieder wett:


Wie ging es weiter mit Acatenango?

Er gewann... und gewann... und gewann... Egal ob es sich nun um den Aral-Pokal 1985 oder im folgenden Jahr den Gerling-Preis, den Preis der Badischen Wirtschaft, den Großen Preis von Berlin, noch einmal den Aral-Pokal und den Großen Preis von Baden handelte - gegen Acatenango kam niemand an. Imponierend war nebenbei auch, wie überlegen und souverän er seine Rennen in der Regel gewann, und dies nicht nur im Inland, sondern wie er in Frankreich mit dem Gewinn des Grand Prix de Saint Cloud demonstrierte, auch gegen starke ausländische Konkurrenz. Erst im Arc de Triomphe des Jahres 1986... ja, in jenem Arc de Triomphe, über den schon so viel geschrieben wurde, da war Schluss mit der wohl spektakulärsten Siegesserie, die ein deutsches Rennpferd seit langer Zeit auf den grünen Rasen gezaubert hatte. 

Aber auch 1987, als nunmehr Fünfjähriger, zeigte Acatenango, dass er nichts verlernt hatte und nach wie vor ein fantastischer Galopper war. Mochte der Nimbus des Unbesiegbaren auch leicht angekratzt sein, Hansa-Preis und Großen Preis von Baden gewann er erneut, und auch im Coronation Cup zeigte er als Dritter seine bewunderten Qualitäten als absolutes Spitzenpferd war.

Wie ich es geschafft habe, Acatenango in all dieser Zeit auch nach dem Derby nicht einmal live zu sehen, weiß ich wirklich nicht. Gelegenheit dazu hätte es zum Beispiel in Düsseldorf oder in Gelsenkirchen ja durchaus gegeben, aber irgendwie wollte es einfach nicht klappen. Erst im Herbst 1987 wurde das Live-Erlebnis dann endlich Wirklichkeit, denn mein Onkel versprach, dass er mich mit zum Preis von Europa nehmen wollte, und dort stand auch Acatenango auf der Starterliste. Die Freude war entsprechend groß, und die Erwartungen waren es ebenfalls. Wenn man schon einmal ein Pferd "vom anderen Stern" zu sehen bekommt, dann soll es natürlich auch gewinnen.

Doch am Ende ging dieses Rennen, in dem ich tatsächlich Acatenango feste die Daumen gedrückt habe, ganz anders aus - und es war ein eigenartig trauriges Ende für den Fuchshengst. Mich (und meinen Onkel) hatte hingegen die Begeisterung hinfort getragen, weil an jenem Tag ein Rennbahnmärchen der ganz anderen Art miterlebt werden konnte: Kamiros (jener Kamiros, den Acatenango schon als Dreijähriger im Union-Rennen besiegt hatte) stieg wie Phönix aus der Asche und gewann, hauchdünn und mit viel Vergrößerung des Zielfotos, aber er gewann gegen den vermeintlich übermächtigen französischen Gast mit dem bezeichnenden Namen Le Glorieux. Und er gewann auch gegen Acatenango, der nur als Achter ins Ziel kam. Vor lauter Mitfiebern und Freude über Kamiros' Sieg (denn er war ja ein Pferd aus "unserem" Stall) hatten wir den großen Acatenango, dessen Besitzer eine Negativ-Dopingprobe beantragte, völlig vergessen.

Ich erinnere mich jedoch gut an einen besonderen Moment am Absattelring, als wir noch den Sieger bewunderten. Heute würde die Hälfte des anwesenden Publikums schnell die Digital-Kamera zücken, um die Erinnerung festzuhalten - damals musste man das noch vornehmlich mit den Augen tun. Und genau damit war ich beschäftigt, als plötzlich ein Mann schräg hinter mir zu seinem auf seinen Schultern sitzenden Sohn sagte: "Guck mal da, da geht er. Guck ihn dir gut an. Das ist Acatenango. Wer weiß, ob wir den noch mal wiedersehen. Aber was war das für ein Rennpferd! Guck ihn dir noch mal an!"

Ob der Junge der Aufforderung seines Vaters Folge geleistet hat, weiß ich nicht. Ich habe es aber getan, und für einen Moment hat mich dieser stille Abgang eines vierbeinigen Helden eigenartig traurig gemacht. Dass es - zumindest auf die Rennbahn bezogen - ein Abschied für immer sein würde, habe ich damals nicht gewusst. Unmittelbar anschließend gab es eine Siegerehrung zu bewundern, und danach war Acatenango verschwunden.

Auch wenn seine aktive Zeit als Rennpferd 1987 mit einer herben Enttäuschung endete, hat Acatenango in den folgenden Jahren bis zu seinem Tod in der Zucht große Dinge geleistet. Nur einige seiner erfolgreichen Nachkommen können und sollen hier genannt werden: Colon, Protektor, Portella, Concepcion, Elacata, Lando, Paolini, Epalo, Intendant, Donaldson, Prince Flori, Askar Tau, Blue Canari, Quijano, Sassoaloro, Borgia, Wurftaube, Mystic Lips, Hamond, Flamingo Road, Aeskulap, Puntilla, Sabiango, Toughness Danon, Querari, El Tango, Flamingo Fantasy, Nicaron...

Viele dieser Acatenango-Nachkommen aus der ersten oder zweiten Generation sind uns noch sehr vertraut, weil sie aktuell in der Zucht wirken oder sogar selbst noch auf der Rennbahn aktiv sind. So ist es wohl kaum vermessen, wenn man spekuliert, dass über Acatenangos endgültigen Einfluss auf die deutsche und internationale Vollblutzucht wohl kaum schon das letzte Wort gesprochen werden kann.

Noch einen kleinen Jahrestag, wenn auch sicher nicht der fröhlichen Art, gilt es in diesem Zusammenhang zu erwähnen, denn es ist heute auch kaum mehr als fünf Jahre her, seit der inzwischen in den Ruhestand beförderte Acatenango am 2. April 2005 nach einem Koppelunfall, den er auf seinem Fährhofer Heimatgestüt erlitten hatte, aufgegeben werden musste. Der Hengst hatte schwere Kopfverletzungen erlitten und wurde vom Tierarzt erlöst. So endete das Leben eines in jeder Hinsicht beeindruckenden Pferdes, das selbstverständlich seinen eigenen Fanclub bei Facebook hat und wohl mit vollem Recht auf englischsprachigen Websites gerne als „German racing legend“ tituliert wird.

Die oben schon genannte Youtube-Seite versammelt außer Acatenangos legendärem Derbysieg auch noch eine Reihe anderer Filme aus der Karriere des Hengstes und der Zeit seiner Weggefährten, wobei der geneigte Betrachter unter


einen besonderen Rückblick in die Vergangenheit halten kann, denn dort wird der vierjährige, damals offenbar unschlagbare Acatenango vorgestellt, wie er ganz entspannt an der Hand eines Lads grast und sich von seinem merklich begeisterten Trainer für die Kamera charakterisieren lässt. 


Eine wirklich schöne Erinnerung an einen der ganz großen Rennbahnhelden! 

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