Donnerstag, 2. Juni 2011

Unsanfte Landung

Morgen geht es los nach Baden-Baden, und das lange Wochenende kommt wirklich wie gerufen. Ich freue mich schon auf möglichst viele spannende Rennen, wobei berühmte Namen unter den aktiven Zwei- und Vierbeinern zwar das Salz in der Suppe sind, aber nicht der hauptsächliche Motivationsfaktor.  Auch wenn mein Fokus eindeutig auf dem deutschen Galopprennsport liegt, gibt es aber einige Jockeys aus anderen Ländern, über deren gelegentliche Stippvisiten auf unseren Bahnen ich mich immer freue. Olivier Peslier ist solch ein Mann, Johan Victoire ebenfalls, dann auch Maxime Guyon. Und dann ist da natürlich noch der alles überragende Star der blauen Flotte, der gar nicht so selten (und häufig höchst erfolgreich) hierzulande in den Sattel gehoben wird, um ihn im Erfolgsfall mit seinem berühmten Strecksprung nach dem Rennen wieder zu verlassen.


Es geht natürlich um Lanfranco Dettori. Eine ganze Reihe großer Ritte des Godolphin-Stalljockeys trage ich in meiner Erinnerung nun schon mit mir. Hinzu kommt, dass Frankie, wie ihn seine vielen Fans nennen, ein großes Talent hat, sich professionell und gleichzeitig sympathisch mit ansteckend guter Laune in Szene zu setzen - so zuletzt noch nach seinem Erfolg auf Scalo im Kölner Gerling-Preis, als er die versammelte Trainer-, Besitzer- und Offiziellenschar auf dem Siegerpodest kurzerhand einer Formel-1-würdigen Sektdusche unterzog.


Kein Zweifel, ohne Lanfranco Dettori wäre der Galopprennsport viel, viel langweiliger und ärmer an mitreißenden Erlebnissen. Aber dass es seine vielen großen Ritte überhaupt gab, ja, dass es Lanfranco Dettori selbst noch gibt, ist schon einem kleinen Wunder zu verdanken. Heute nämlich vor genau elf Jahren geschah im englischen Newmarket ein Unglücksfall, der, wenn eine ganze Armada an Schutzengeln auch nur etwas weniger aufgepasst hätte, beinahe nicht nur Dettoris Karriere, sondern auch sein Leben tragisch früh beendet hätte.


Vor einem Jahr habe ich bereits Mitte Juni einen kurzen Bericht über dieses Ereignis geschrieben, das auch im Zusammenhang mit dem Derbysieg eines großartigen Rennpferdes (inzwischen Deckhengstes) steht, welches für mich inzwischen als Vater einer gewissen vierjährigen Stute, der noch einige Hoffnungen gelten, eine ganz neue Bedeutung gewonnen hat: Sinndar...


Sinndar - ein großartiges Pferd!


Es war einmal vor 10 Jahren

Am 10. Juni 2000 wurde das englische Derby gelaufen. Gewonnen wurde es von dem von John Oxx trainierten Hengst Sinndar unter Jockey Johnny Murtagh. Liest man die Liste der übrigen beteiligten Reiter durch, so kann man leicht ins Schwärmen geraten ob der hier versammelten großen Namen, doch ein Jockey, der so bekannt ist wie wohl kaum ein anderer Aktiver des Galoppsports, fehlt in der illustren Aufzählung – und das hatte einen wenig erfreulichen Grund.

Jockeys leben gefährlich. Diese einfache Tatsache dürfte jedem bekannt sein, der öfter eine Rennbahn besucht und das Geschehen dort mit ein wenig Aufmerksamkeit verfolgt. Leichtere und leider manchmal auch schwere Verletzungen, wie sie im Training oder bei den Rennen selbst immer wieder vorkommen, gehören zum Berufsrisiko der Zweibeiner, die mit den schnellen Pferden umgehen – und in der Regel werden sie von ihnen einfach stillschweigend in Kauf genommen.

Nicht selten müssen die Schutzengel der Jockeys also Überstunden leisten, doch kaum je werden sie dermaßen gefordert wie vor zehn Jahren, als in England ein dramatischer Unfall mit zwei Jockeys geschah, der glücklicherweise zumindest für zwei der drei Betroffenen noch halbwegs glimpflich ausging. Ihre Schutzengel hatten am 1. Juni 2000 auf der Rennbahn in Newmarket ganze Arbeit geleistet, obwohl in den Unfall, der bald darauf weit über Großbritannien hinaus Schlagzeilen machte, gar keine Vierbeiner verwickelt waren. Die Namen der derart Beschützten, die wie durch ein Wunder überlebt hatten, waren eben weithin bekannt, handelte es sich doch um Ray Cochrane und Lanfranco Dettori, zwei der führenden britischen Jockeys.

Ein Kleinflugzeug war an jenem Tag in Newmarket direkt am Rand der Rennbahn beim Startversuch abgestürzt und in Flammen aufgegangen. Betrachtet man die Fotos, die die britische Presse vom Wrack der Maschine des Typs Piper Seneca veröffentlichte, ist es schwer zu glauben, dass zwei der drei Insassen – die Passagiere eben, die auf dem Weg zu einem Renntag in Goodwood gewesen waren – das Flugzeug lebend verlassen konnten. 


Link zu einem englischen News-Bericht über den Flugzeugabsturz von Newmarket


Für den Piloten hingegen, Patrick Mackey (52), gab es keine Rettung. Er starb noch an der Unfallstelle. Unmittelbar im Anschluss an den Absturz wurde er von den Journalisten selbst, aber auch von den überlebenden Passagieren als Held gefeiert. Nur ihm, seinem Können und seinem Mut, so ließen die beiden verletzten Jockeys Cochrane und Dettori noch vom Krankenhaus aus verlauten, verdankten sie ihre Rettung. Erst ein halbes Jahr später kamen gewisse Zweifel an dieser Theorie auf, als eine polizeiliche Untersuchung ergab, dass der verstorbene Pilot zwar über eine Menge Erfahrung in seinem Beruf verfügt, jedoch vor dem Unfall erst wenige Flugstunden in einer Piper Seneca absolviert hatte. Normalerweise hatte er immer am Steuer einer Maschine des Typs Cessna gesessen, die gerade beim Startmanöver anders bedient wurde als der Unglücksflieger.
Von Blessuren gezeichnet und dennoch halbwegs glimpflich entkommen -
Lanfranco Dettori  nach dem Flugzeugabsturz
Weder Frankie Dettori noch Ray Cochrane kommentierten diese Untersuchungsergebnisse öffentlich, obwohl der Unfall zumindest für einen der beiden Reiter schwerwiegende Folgen gehabt hatte. Anders als bei Frankie Dettori, der zwar das neun Tage nach dem Crash ausgetragene englische Derby mit Verletzungen an Daumen und Knöchel versäumte, bedeutete der Absturz für Ray Cochrane das Ende seiner Karriere als Jockey. Seine Verletzungen an Brust, Schultern und Rücken erwiesen sich im Nachhinein als zu gravierend, und so musste er seine Reitstiefel ein knappes halbes Jahr später an den Nagel hängen. Auch die königliche Tapferkeitsmedaille, die ihm verliehen wurde, weil er dem verwundeten Dettori geholfen hatte, aus der Gepäckluke des brennenden Flugzeugs zu entkommen, ehe er zurücklief und noch einen vergeblichen Versuch startete, auch den Piloten aus den Flammen zu retten, wird angesichts dieser Folgen nur ein schwacher Trost gewesen sein.
Ray Cochrane - Erinnerung an seine Zeit als Jockey
Nach seinem Karriereende als Jockey arbeitete Ray Cochrane als Agent für Lanfranco Dettori, dessen damals bereits glanzvolle Laufbahn in den vergangenen zehn Jahren seit dem Flugzeugabsturz nur noch glanzvoller geworden ist. 


Wer kürzlich zum Mehl-Mülhens-Rennen in Köln anwesend war, konnte erleben, wie herzlich der Mann in den blauen Godolphin-Farben bereits vor dem Rennen beim Betreten des Führrings von seinen deutschen Fans beklatscht wurde. Auch nach dem Rennen waren sie noch begeistert von Frankie Dettori, obwohl dieser mit einem Glanzritt auf dem vermeintlich höchstens zweitklassigen Hengst Frozen Power soeben den deutschen Pferden die Hufe gezeigt hatte. Sicher war es auch die Hoffnung, mit Dettoris speziellem Markenzeichen, dem Strecksprung aus dem Sattel nach einem großen Sieg, beglückt zu werden. Ihre Erwartung wurde nicht enttäuscht, denn auch in Köln zeigte der sichtlich erfreute Jockey den Dettori Jump, sein berühmtes Zirkuskunststückchen. Wenn man in diesem umjubelten Moment daran dachte, dass der Flugzeugabsturz vor fast genau zehn Jahren ohne viel Glück, die Hilfe eines mutigen Kollegen und die entschlossene Hand seines Schutzengels sehr leicht auch anders für den Meisterjockey hätte enden mögen, konnte einem schon ganz anders werden. 
Jockey mit bewegter Biographie - übrigens ziemlich lesenswert! ;-)

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