Sonntag, 12. Juni 2011

Vor sechs Jahren: Royales Raubtier und stiller Wind

Der folgende Erinnerungstext ist exakt ein Jahr alt, erschien damals im Tippspielforum und wurde - besonders im Hinblick auf die Nachkommen des einen "Hauptdarstellers" - ein wenig aktualisiert. Das Ziel: Ein wenig Lust machen auf morgen, wenn die 2011er-Ausgabe des Union-Rennens in Köln-Weidenpesch ansteht, und das mit einem Feld, das durch Pferde wie Arrigo, Gereon, Saltas, Sundream... ebenfalls eine Menge Spannung verspricht. Ich freue mich jedenfalls schon heute auf morgen.


Es war einmal vor sechs Jahren

Heute springen wir zur Abwechslung einmal nicht gar so weit in die Vergangenheit, sondern lediglich sechs Jahre zurück, zum 12. Juni des Jahres 2005. Es war der mit einiger Spannung erwartete Tag der wichtigsten Derby-Vorprüfung, an dem das Union-Rennen in Köln ausgetragen wurde. Ganz so hochkarätig wie das Feld, das fast exakt sechs Jahre später, also am morgigen Nachmittag, in die Startboxen einrücken wird, war die 2005er-Auflage des Union-Rennens möglicherweise nicht, aber sie enthielt doch mit dem späteren Derbysieger (im Ziel hier nur Fünfter) und dem Hengst, um den es in diesem Text geht, zumindest zwei sehr gute Rennpferde.


So war es 2010: Union-Sieger Zazou vor dem Zweitplatzierten Lindentree


In der Favoritenrolle stand jedoch nur einer, und das war – wohl eher eine zufällige Parallele zu Scalo, der im vergangenen Jahr die meisten Wetten auf sich vereinigen konnte, dann aber, wie man inzwischen mit einiger Gewissheit sagen kann, unter Wert geschlagen blieb – der bislang bei drei Starts ungeschlagene und bereits doppelte Gruppesieger Königstiger. Auf 18:10 hatten die Besucher der Kölner Rennbahn den Ritt von Andreas Suborics schließlich vor dem Start heruntergewettet, was deutlich das gewaltige Vertrauen unterstreicht, das sie in den Schlenderhaner Tiger Hill-Sohn aus der Kittiwake setzten. Königstiger sollte seine Anhänger letzten Endes auch nicht enttäuschen und gewann das Union-Rennen, aber ein Spaziergang wurde es für ihn und seinen Jockey wahrlich nicht. Im Gegenteil – was sich vor sechs Jahren in Weidenpesch abspielte, verdient wohl zurecht die Adjektive „kurios“, „dramatisch“, „mitreißend“ und „unterhaltsam“.

Bei Menschen ist es wohl nicht grundsätzlich anders als bei Rennpferden. Da gibt es manche Vertreter, die auf diesem oder jenem Gebiet eine besondere Gabe haben und mit diesem Talent offenbar mühelos brillieren. Es scheint ihnen keine spezielle Mühe zu machen, die Konkurrenz spielerisch leicht hinter sich zu lassen. Fast wirkt es so als nähmen sie sie im Höhenrausch der eigenen Fähigkeit gar nicht wahr. Und dann existieren da andere Menschen, die ähnlich talentiert sind, aber zum Abrufen ihrer Höchstleistung stets nahezu ebenbürtige Konkurrenz benötigen. Sie leben von der Auseinandersetzung, vom Kampf, und erst in der Herausforderung durch einen Gegner finden sie jene Kraft in sich, die es ihnen im allerletzten Moment gestattet, den Rivalen doch noch zu überflügeln.

Königstiger – so viel dürfte bei aller unterschiedlichen Wahrnehmung, die der Hengst in seiner leider nur sehr kurzen Rennlaufbahn erfuhr, unumstritten sein – war ein typischer Vertreter der zweiten Gruppe. Er benötigte das Kämpfen wie die Luft zum Atmen. Siege mit dem Prädikat „hochüberlegen“ waren seine Sache nicht – im Gegenteil! Je knapper es vorne wurde, je unerbittlicher der Zielpfosten näher rückte, je eindeutiger ein anderes Pferd den Sieg bereits in trockenen Tüchern zu haben schien, desto schneller wurde der Schlenderhaner, bis es ihm auf den allerletzten Drücker meistens doch gelang, die Partie noch einmal zu wenden. Nur einen einzigen seiner vier in Folge errungenen Siege (davon zwei als Zweijähriger und weitere zwei während seiner Kampagne als Dreijähriger 2005) hat er anders als durch „Kampf“ entschieden. Dies war sein Maidensieg beim allerersten Start im September 2004 in Baden-Baden. Ausnahmsweise war er hier gegen teilweise gar nicht einmal so schlechte Pferde mit einem sicheren Vorteil als erstes Pferd über die Ziellinie galoppiert. Danach aber machte er seinem Ruf als großer Kämpfer dreimal hintereinander alle Ehre.

Er war gewiss ein richtig gutes Rennpferd, denn schon beim zweiten Lebensstart schickte Trainer Peter Schiergen Königstiger nach Italien, wo er im Gran Criterium ausgesprochen knapp den vermeintlich höher eingeschätzten Stallgefährten Idealist unter Andreas Suborics düpierte. Filip Minarik saß an jenem Tag im Sattel der vorab „nur“ zweiten Farbe Königstiger, doch am Ende avancierte er mit dem Hengst zum Gruppe-I-Sieger, so dass die beiden Schlenderhaner dieses Rennen unter sich ausmachten. Auch bei seinem folgenden Auftritt, dem ersten in seiner Dreijährigensaison, gewann Königstiger in ganz ähnlichem Stil. Wieder war es nur ein Kopfvorteil, den er – erneut unter Filip Minarik – nach hartem Kampf und erneut gegen einen Stallgefährten namens Bernard ins Ziel brachte.

Bis zum Start des Union-Rennens musste sich also unter den Rennbahnbesuchern herumgesprochen haben, dass dieser Königstiger nicht von ungefähr als einer der ganz großen Aspiranten auf den Derbysieg galt, sich aber zum Anlegen einer Wette nur für Menschen ohne schwaches Nervenkostüm und Herzrhythmusstörungen anbot. Vielleicht war dies auch der Grund, warum der Schlenderhaner eigens für die große Derby-Vorprüfung einen Pacemaker in Gestalt des Ullmann-Hengstes Silent Wind zur Seite gestellt bekam. Dass dieser Silent Wind jedoch dem großen Favoriten am Ende noch beinahe die Tour vermasselt hätte, statt nur das Tempo schön flott zu machen und nebenbei noch für jede Menge Unterhaltung zu sorgen, war wohl so nicht geplant gewesen.

Silent Wind machte seinem Namen nämlich alle Ehre – zielstrebig führte und zog er das Feld bis in die Zielgerade hinein, wobei er durch einen ziemlich cleveren Ritt von Terry Hellier die innere Spur ganz an den Rails geschickt für Königstiger frei hielt, in dessen Sattel nun wieder Andreas Suborics saß. Der einzige ernsthafte Konkurrent, der nicht von Peter Schiergen trainiert wurde, das Schütz-Pferd Le King aus dem Gestüt Wittekindshof, war so gezwungen, in einer weiter außen liegenden Bahn deutlich mehr Strecke zurückzulegen. Es waren also eigentlich optimale Voraussetzungen geschaffen worden für den großen Favoriten, aber im Einlauf tat sich Königstiger zunächst alles andere als leicht. Für einen Moment mochte man sogar glauben, er sei bereits geschlagen – aber da täuschte sich das gebannt zusehende Publikum.

Ort des Geschehens in einer alten Luftaufnahme: Rennbahn Köln-Weidenpesch


Was dann folgte und mit Hilfe des Rennvideos, das inzwischen auf der Website des Gestüts Fährhof bei den Informationen über den Deckhengst Königstiger anders als im letzten Jahr leider nicht mehr verfügbar ist, war ganz großes Rennbahnkino. Nicht nur, dass auf den letzten Metern bis zum Zielspiegel eine Kampfpartie sondergleichen entbrannte, an deren Ende Königstiger knapp – knapper – am knappsten mit lediglich einer Nase das bessere Ende für sich hatte, nein, es gab auch noch kostenlos eine Zugabe, die beinahe Slapstick-Charakter hat. Silent Wind nämlich, der wohl ohne dass es beabsichtigt gewesen war, fast das Rennen gewonnen hätte, machte seinem Namen alle Ehre und erzeugte... Wind. Er bediente sich dazu im Einlauf wieder und wieder sehr gekonnt seines Schweifs, mit dem er schlug und wedelte, ohne im Galopp aus dem Takt zu kommen. Auch beim wiederholten Ansehen des Videos konnte ich mir ein Grinsen nicht verkneifen.

Was in den Zuschauern vorgegangen sein mag, während sich dieses Spektakel vor ihren Augen live abspielte, kann man nur ahnen. Am Ende jedoch hatte Königstiger noch einmal – ein letztes Mal, wie sich später herausstellen sollte – das bessere Ende für sich gehabt. Er gewann, aber wer auf dem Video den bei der Siegerehrung ziemlich erledigt und perplex wirkenden Jockey Andreas Suborics betrachtete, sah, dass dies wohl kaum sein leichtester Gruppesieg gewesen sein dürfte.

Der Nimbus der Unbesiegtheit war jedenfalls trotz der Umstände seines Erfolgs gewahrt geblieben, und so ging Königstiger auch als einer der Mitfavoriten ins Hamburger Derby. Lediglich sein Stallgefährte Arcadio (noch ein erstklassiger Schlenderhaner!) wurde in diesem Rennen aller Rennen von den Wettern höher eingestuft als der Union-Sieger. Gewinnen konnten beide Pferde das Rennen am Ende allerdings nicht, denn genau in dem Moment, in dem es darauf ankam, erlebte der Außenseiter Nicaron, den Königstiger zuvor noch klar und deutlich geschlagen hatte, die Sternstunde seines Lebens. 


Eine vergleichbare Leistung konnte der Derbysieger des Jahres 2005 später nie wieder erbringen, aber so ist es halt im Rennsport: Ein Triumph zur rechten Zeit genügt. Das Blaue Band konnte ihm danach niemand mehr nehmen. Und es sah in der Tat schon spektakulär aus, wie Nicaron auf den letzten dreihundert Metern des Rennens außen an den vermeintlich so siegessicheren Schlenderhanern vorbeizog, insbesondere Königstiger dabei vollkommen stehen ließ und auch die sehr gut aussehende Schlussattacke des späteren Zweiten Night Tango, der einen recht schlechten Rennverlauf gehabt hatte, ganz locker abwies. Auch Nicaron ist inzwischen zum Deckhengst avanciert, doch stehen die ersten Rennbahnstarts seiner Nachkommen noch aus.

Und Königstiger, dem möglicherweise in Hamburg der Weg doch ein wenig zu weit geworden sein könnte? Lange war trotz der vorhandenen Zweifel an seinem Stehvermögen über eine Revanchepartie gegen Nicaron im Rheinland-Pokal und somit erneut auf Derby-Distanz spekuliert worden. Königstiger wurde auch als Starter angegeben, dann jedoch am Tag des Rennens wegen des aufgeweichten Bodens zurückgezogen. Er erschien im Herbst nur noch einmal am Start – nun über deutlich kürzere 2000 Meter, aber gegen Fight Club gab es hier ebenfalls kein Ankommen, und so kam er „nur“ als Zweiter ins Ziel. Der Verdacht drängt sich auf, dass Königstiger möglicherweise bereits vor dem Derby all seine ihm zur Verfügung stehenden Kämpfe gekämpft hatte. Danach endete seine Karriere als Rennpferd abrupt mit der überraschenden Meldung, dass das Gestüt Fährhof ihn als Deckhengst aufstellen werde, wobei diese Entscheidung wohl auch viel mit dem tragischen Unfall eines anderen Pferdes namens Eagle Rise zu tun hatte. Zudem hatte Königstigers so erfolgreicher Vater Tiger Hill das Gestüt Fährhof gerade verlassen, und was lag da näher als ihn gewissermaßen durch seinen Sohn zu ersetzen?

Deckhengst Königstiger


So verständlich die Entscheidung ist, dass Königstiger aus dem Rennstall genommen wurde, so schade ist es doch auch, dass er nicht mehr die Gelegenheit bekam zu zeigen, ob er (vielleicht nach einer kleinen Erholungspause?) noch zu weiteren faszinierenden Kämpfen in der Lage gewesen wäre. 


Noch auf dem Gestüt Fährhof - Deckhengst Königstiger bekommt Besuch


Als Deckhengst bekam der Gruppe-I-Sieger jedenfalls in den ersten Jahren seiner Tätigkeit auf dem Fährhof trotz seiner zunächst recht stattlichen Decktaxe alle nur erdenkliche Unterstützung und hatte auch von anderen Züchtern regen Zulauf. Inzwischen sind die Pferde seines ersten Jahrgangs vierjährig, und auch aus dem zweiten Jahrgang sind bereits einige Pferde gelaufen. Manche von ihnen, darunter z.B. Anking, Wild Pearl, Zirkel und Lavallo, haben auch bereits als Sieger auf sich aufmerksam machen können. Am erfolgreichsten hat sich bislang die Rennkarriere von Devilish Lips gestaltet, und auch bei der vierjährigen Shining Glory und dem dreijährigen Arazjal dürfte noch manch ein Traum geträumt werden. Der ganz große Treffer ist dem Königstiger-Nachwuchs aber bislang noch nicht geglückt.

Königstiger-Tochter Shining Glory


Seit diesem Jahr hat er auch einen neuen Standort bezogen und ist ins Gestüt Zoppenbroich gewechselt. Sein 2011er-Jahrgang ist ebenfalls noch recht kopfstark und umfasst auch einige Black-Type-Stuten größerer Gestüte. 

Was die Zukunft nun für Königstiger bringen wird? Ich plädiere für Abwarten... noch ist nicht aller Tage Abend, und wer weiß – vielleicht setzt sich ja am Ende auch einmal eines seiner Kinder auf den allerletzten Drücker durch und zeigt, dass es den fulminanten Kampfgeist des Vaters geerbt hat?

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