Samstag, 21. April 2012

Vor zehn Jahren: Wieder fest im Sattel

Mit Comebacks ist das ja so eine Sache - sie kommen einerseits gar nicht einmal so selten vor, sei es nun in der Politik, in der Wirtschaft oder im Sport. Andererseits sind sie aber auch keineswegs immer mit einer Erfolgsgarantie verbunden - im Gegenteil! Oft ist es zudem so, dass sich erst nach einiger Zeit rückschauend wirklich beurteilen lässt, ob ein Comeback von Erfolg gekrönt war. 


Wünschen wird sich solchen Erfolg selbstverständlich jeder Mensch, der sich an ein Comeback wagt, doch nur in wenigen Fällen wird man den Entschluss zum Rücktritt vom einst bereits erklärten Rücktritt derart positiv beurteilen können wie im Hinblick auf die Geschichte eines sportlichen Comebacks, die heute erzählt werden soll. Nebenbei bemerkt - hätte dieses Comeback nicht stattgefunden, so wären die galoppsportlichen Erinnerungen der vergangenen zehn Jahre um eine Menge herausragender Erlebnisse ärmer... Wie gut also, dass das Zurückkehren eines Jockeys in den Rennsattel so vorzüglich geklappt hat!




Es war einmal vor zehn Jahren

So muss ein Comeback ja nun wirklich Spaß machen! Nix verlernt, das muss man nun wirklich sagen!“

Ich erinnere mich noch recht gut an die Worte eines mir unbekannten Rennbahnbesuchers, als ich damals vor zehn Jahren im April 2002 erstmals nach einer längeren Zeit wieder auf „meiner“ Heimatrennbahn am Raffelberg war. Gesprochen hat er sie am Absattelring, und das Pferd, das da soeben das erste Rennen der Tageskarte, einen ausgesprochen harmlosen Ausgleich IV, gewonnen hatte, hieß Tidel Pool und stand noch dampfend und leicht verschwitzt vor unserer Nase, während der siegreiche Jockey den Sattel abnahm.

Nix verlernt? Comeback?

Da hatte ich offenbar in der Zeit meiner durch das Referendariat und einen längeren Auslandsaufenthalt bedingten Rennbahnabwesenheit etwas verpasst! Doch noch ehe ich genau zuordnen konnte, um wen es da gehen mochte, brach mein Nebenmann – eigentlich ganz uncharakteristisch für das übliche eher reservierte Verhalten deutscher Rennbahnbesucher – in energisches Klatschen aus und rief so laut, dass der Jockey ihn sicher hören konnte: „Guter Mann, Terry! Weiter so!“

Da wusste ich natürlich auch sofort, wer gemeint gewesen war – Terence Hellier nämlich, also derjenige Reiter, der Tidel Pool aus dem Stall seines Vaters Bruce vor wenigen Minuten in einem knappen Finish mit Halsvorteil und kurzem Kopf gegen die beiden Platzierten Speed Fine und Jimmy Two Stroke zum Erfolg geführt hatte. Es war ein sehenswerter Endkampf gewesen, das war sogar mir aufgefallen. Aber wieso Comeback?

Erst im Nachhinein habe ich, die ich an jenem Apriltag 2002 ohne jede Begleitung und auch ohne Sport-Welt über die Mülheimer Rennbahn geschlichen bin, um endlich mal wieder ein wenig Galopp-Luft zu schnuppern, herausgefunden, was der Hintergrund dieser Aussagen war. Und der war allerdings tatsächlich bemerkenswert, denn was ich in jenem ansonsten wirklich ziemlich unspektakulären Ausgleich IV miterlebt hatte, war nichts weniger als ein kleines Wunder, denn an jenem 14. April 2002 begann eine Jockey-Karriere neu, die anderthalb Jahre zuvor, am 4. November 2000, endgültig beendet schien, inzwischen aber bereits wieder zehn sehr erfolgreiche Jahre andauert.

Es war ein durch und durch standesgemäßer Abschied gewesen, den Terence Hellier, ein Jockey, den ich immer gerne gesehen hatte, denn mit der Schlenderhanerin Mosquera hatte er in Köln bei seinem vermeintlich letzten Ritt immerhin mit der Kölner Stuten-Meile ein gut dotiertes Listenrennnen an sich bringen können. Danach war Schluss gewesen, der Sattel hatte sich am sprichwörtlich-symbolischen Nagel wiedergefunden und Terry Hellier hatte sich eine neue Aufgabe suchen müssen.

Was war der Grund für diesen Rückzug gewesen, zu dem sich der damals 34-Jährige Jockey entschieden hatte, der doch immerhin in jener Saison mit 75 Siegen eine Platzierung in den Top Ten der deutschen Jockeys erreicht hatte?

Das leidige Thema Gewicht war es wohl, dazu vermutlich anhaltende Sorgen um die eigene Gesundheit, die in den 1990er Jahren immer wieder stark angegriffen gewesen war. Mehrfach war Terence Hellier, der sich selbst in einem Interview 1997 mit einer ordentlichen Portion Galgenhumor einmal als „Deutschlands schwerster Jockey, zumindest in der Spitzenklasse“ bezeichnete, schwer an einer Meningitis erkrankt. Diese schwere Erkrankung limitierte seine Verlässlichkeit so sehr, dass er sich zu seinem Leidwesen genötigt fühlte, seinen lukrativen Vertrag mit Bruno Schütz zu lösen. Dies kann wohl kaum ein leichter Schritt für den ganz gewiss ehrgeizigen, auch psychologisch durch seine gesundheitlichen Sorgen belasteten Reiter gewesen sein. Er ritt zwar für andere Trainer weiter, sammelte auch weiter viele Erfolge, doch zuverlässig ein Gewicht von – bei einer Körpergröße von 1,69m ja nun wirklich extrem niedrigen – 56 Kilo halten zu können, muss ihm immer schwerer gefallen sein. Darum also der Schlussstrich am Ende des Jahres 2000… Nur einmal noch sah man Terry Hellier anschließend in Deutschland im Sattel, und zwar im September 2001 in einer treffend als Ex-Champion-Rennen bezeichneten Konkurrenz in Köln, in der er – sicher zu seiner Erleichterung – mit 63,5 Kilo in den Sattel steigen durfte… und prompt gewann.

Lagebesprechung vor grinsendem Pferd -
Terry Hellier im Düsseldorfer Führring

Die Art und Weise, wie er damals als „Jockey-Rentner“, so ein Artikel bei GOL, diesen Erfolg unter Dach und Fach brachte, war übrigens sehr typisch für viele Ritte von Terence Hellier, dem man schon früh besonderes taktisches Geschick und enorme Endkampfstärke attestiert hatte. Lediglich um einen Hals blieb er nämlich mit der Stute Suenna vor dem Zweitplatzierten Leto, aber dieser Halsabstand reichte aus. Gewonnen ist schließlich im Rennsport gewonnen!

Und Rennen zu gewinnen, das hatte Terry Hellier schon früh hervorragend gekonnt. Sicher war er als Sohn von Bruce Hellier, der ebenfalls zunächst Jockey gewesen und später Trainer geworden war, quasi auf der Rennbahn aufgewachsen. Da ich mir als Kind eine Grundschulklasse ganz in der Nähe der Mülheimer Rennbahn mit seinem Halbbruder teilte, der immer wieder begeistert von den Rennen erzählte, die sein damals in der Ausbildung bei Heinz Jentzsch befindlicher Bruder ritt, hatte ich auch schon früh bei den Rennbahnbesuchen mit meinem Patenonkel auf diesen Nachwuchsreiter geachtet. An einen Treffer kann ich mich aus dieser frühen Zeit noch gut erinnern, denn da war er in Mülheim ausgerechnet mit einem Pferd namens Only Second Erster geworden. Die Ironie verstand ich seinerzeit zwar erst nach einem entsprechenden Kommentar meiner (noch!) des Englischen mächtigeren Mutter, aber dann musste ich ebenfalls grinsen. Wie passend… Terry Hellier gewann sogar Rennen mit Pferden, die eigentlich "nur Zweiter" werden sollten. ;-)

Aber auch größere Erfolge kamen beim Lehrlingschampion des Jahres 1982, nachdem er ausgelernt hatte, schrittweise in immer größerer Zahl hinzu. Vor allem mit Pferden wie Justinian, Schützenkönig, Mondrian, Fabriano, Protektor, vor allem aber natürlich mit Martessa und Lomitas, gelangen ihm ab Ende der 1980er Jahre und in die 1990er hinein viele hervorragende Platzierungen und Siege. La Blue, Sinyar, Germany, Eden Rock, Autriche, Diktys, Anna Thea, Waky Nao – sie alle hat Terry Hellier auf der ersten Etappe seiner Jockeykarriere zu großen Erfolgen gesteuert. Vor allem aber Ungaro war es, der dieser Phase seiner Laufbahn viele herausragende Akzente verlieh. Doch dann war es vorbei – scheinbar endgültig.

Turbulent ging es im Leben von Terence Hellier aber auch nach seinem Rücktritt vom aktiven Rennreiten zu, denn eigentlich schien sich eine gute Lösung für die weitere Laufbahn des Ex-Jockeys gefunden zu haben, als er in der Funktion eines Assistenztrainers bei Peter Schiergen am Asterblüte-Stall anfing. Das Engagement, das so vielversprechend klang, erwies sich jedoch als von kurzer Lebensdauer, denn schon im April endete es auf nicht gerade freundliche Weise. Ganz uncharakteristisch kritische Worte wurden öffentlich gesprochen, und damit befand sich Terence Hellier wieder auf der Suche nach einer neuen Aufgabe, die er schließlich ausgerechnet in Dubai als Arbeitsreiter am Stall von Saeed Bin Suroor fand.

Diese Auszeit wurde zur entscheidenden Wende in der Karriere des Terence Hellier, denn als er Anfang 2002 nach Deutschland zurückkehrte, war er nicht nur bedeutend leichter geworden, sondern hatte auch den Entschluss gefasst, dass mit dem Rennreiten noch nicht unbedingt Schluss sein musste. Und so staunte die deutsche Galoppsportszene über die Ankündigung, dass er seinen Sattel wieder vom Nagel nehmen und als Jockey neu einsteigen wollte. Begrüßt wurde seine Entscheidung aber allemal, denn aus den unterschiedlichsten Gründen war es zu jener Zeit um die in Deutschland tätigen Jockeys nicht besonders gut bestellt – langfristige Sperren, schwerwiegendere Verletzungen hatten dazu geführt, dass man über die Verstärkung durch den Rücktritt vom Rücktritt sehr froh war.

Erfolgsteam des Jahres 2011:
Terry Hellier und die Pferde aus dem Besitz von Guido Schmitt

Verlernt hatte Terence Hellier ganz sicher nichts, wie mein Nebenmann am Mülheimer Absattelring ganz richtig feststellte. Schöner als mit einem durch Geschick erkämpften Sieg konnte er ja seinen zweiten Jockey-Frühling kaum beginnen lassen. Doch dabei bleib es an jenem Tag im April 2002 am Raffelberg nicht, denn der inzwischen in Vertretung des noch gesperrten Andrasch Starke bei Andreas Schütz beschäftigte Reiter ließ seinem Auftaktsieg am gleichen Tag noch einen dritten Platz und zwei weitere Triumphe mit der überragenden Rennstute Tomori und dem Hengst Dimaro folgen, mit der er auf Anhieb das Hauptrennen, das Orakel der Dreijährigen, gewann. Besser, nein, besser hätte es wirklich nicht beginnen können.

Und so verwunderte es auch kaum, dass bereits am folgenden Wochenende in Krefeld Terence Hellier im Sattel des eindeutigen Favoriten für das erste Gruppe-Rennen der Saison, das Dr. Busch-Memorial, saß. Für schwindelerregende 13:10 gingen sie an den Start, und dass diese Einschätzung durch die Wetter mehr als gerechtfertigt gewesen war, belegt die Tatsache, dass es ein überlegener Sieg mit vier Längen Vorsprung wurde. Der Name des Pferdes? Ja, das war ein gewisser Next Desert, der später im Jahr 2002 nicht nur das Union-Rennen, sondern vor allem auch noch das Derby gewinnen sollte, selbst wenn er bei jenem Sieg nicht mehr von Terry Hellier, sondern vom gerade wieder entsperrten Andrasch Starke geritten wurde.

Wahrlich ein Einstand nach Maß war es also, den der Meister der spannenden Endkämpfe vor zehn Jahren erlebt hat. Und es wurde eine zweite Karriere von Dauer, denn inzwischen gibt es wohl keinerlei Zweifel mehr am begnadeten Reittalent des Jockeys aus Köln, der der Liste seiner Triumphe inzwischen zahlreiche Siege hinzufügen konnte. Und dabei sind es im vergangenen Jahrzehnt besonders die großen Treffer, die so genannten „Big Points“, mit denen er sich einen Namen machte. Call me Big, Caitano, Well Made, Dai Jin, Iota, Albanova, Egerton, Manduro, Love Academy – das sind nur einige der Namen großer deutscher Rennpferde, mit denen Terence Hellier bei seien recht häufig schon nach kürzerer Zeit wechselnden Engagements an praktisch allen führenden Rennställen und Gestüten von Peter Schiergen über Uwe Ostmann bis hin zum Gestüt Schlenderhan bereits siegreich den Zielspiegel passiert hat. Aus der jüngsten Vergangenheit sind es wohl vor allem solche herausragenden reiterlichen Meisterstücke wie die Siege mit Enora, Liang Kay, Silvaner, Zazou, Durban Thunder oder Oriental Tiger, die in besonders guter Erinnerung bleiben.

Meisterleistung im Finish:
Diana-Sieg mit der Röttgenerin Enora

Wie gut, dass er, der inzwischen mit 46 Jahren zum Inventar der deutschen Jockeystuben zählt, da an einem ganz bestimmten Tag im November 2007 in Frankfurt von allen Schutzengeln weit und fern mit aller Macht behütet wurde, als er in einem garstig aussehenden Rennunfall von seinem Pferd Shivas gegen den Zielspiegel geschleudert wurde. Vielen Freunden des Galopprennsports ist dieser drastische Zwischenfall nachhaltig und schockierend in Erinnerung geblieben - ebenso wie die enorme Erleichterung, als bekannt wurde, dass Terence Hellier sich "nur" einen Armbruch und eine Gehirnerschütterung zugezogen hatte. Was für ein ungeheures Glück! 

Schon im folgenden Frühjahr 2008 saß der Jockey wieder im Sattel, und wieder wurde deutlich, dass er nichts verlernt hatte, denn bereits am zweiten Wochenende gelang ihm sein erster Treffer mit Palace Princess, dem er am Sonntag darauf einen erneuten Gruppe-Sieg im Sattel von Oriental Tiger folgen ließ. Einer von vielen bemerkenswerten Ritten von Terry Hellier, die das deutsche Rennbahnpublikum seitdem miterleben durfte... 

Größter Erfolg 2011:
Durban Thunders Gruppe-I-Sieg in München

Mit sechs Treffern steht er in diesem Jahr bereits wieder in den Top Ten der Jockey-Statistik, so dass die noch sehr junge Saison 2012 sich aus seiner Perspektive wirklich erfreulich angelassen hat. Und dann ist da noch einer der Starter im morgigen Dr. Busch-Memorial, der auf den Namen Pastorius hört und sicher in diesem hochklassigen Starterfeld zum engeren Favoritenkreis zählen wird. Mit ihm hat Terry Hellier im vergangenen Jahr bereits zweimal gewinnen können. Ob ihm dies exakt zehn Jahre nach dem ersten Gruppe-Treffer seiner zweiten Jockey-Karriere erneut gelingen wird, ist eine von vielen Fragen, die enorme Spannung in den morgigen Renntag bringen. 



Mir, das ist sicher, würde ein solcher Treffer wirklich sehr gefallen. Und persönlich dabei sein werde ich auf jeden Fall…

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen