Da ich gerade umziehe, kommen Rennsportalben, Jahresrennkalender und alte Videos nun allerdings erst einmal in Kartons, und der Blog hat vermutlich demnächst auch ein Weilchen Pause, bis wir alle miteinander im neuen Zuhause angekommen sind. Zunächst einmal geht es aber zurück in die Vergangenheit...
Es war einmal vor 35 Jahren
Wie vor einer Weile schon einmal versprochen, will ich mich hier einmal an einer kleinen Würdigung der tollen Stute Kandia und ihrer diversen Nachkommen versuchen. Über ein Pferd zu schreiben, an das man selbst keine Rennbahnerinnerungen mehr hat, weil man zu ihrer aktiven Zeit schlicht und einfach noch zu klein war, um Pferderennen bewusst mitzuerleben, ist natürlich nicht einfach. Kandia hat es aber sicher verdient, in diesem Blog einmal eine Rolle zu spielen, denn die von Ilse Bscher und der Fürstin Oettingen-Wallerstein gezogene Luciano-Tochter der Krönungsgabe war nicht nur auf der Rennbahn eine Klasse für sich, sondern hat auch in der Zucht bis in unsere Zeit hinein deutliche Spuren hinterlassen.
Mal wieder handelt es sich um ein Lieblingspferd meines Onkels, dessen Geschichten von Kandias Rennbahn-Heldentaten ich mir früher demzufolge auch reichhaltig anhören durfte. Solcherlei Prägung aus Kindertagen hinterlässt natürlich ihre Spuren, zumal ich ja wusste, dass Kandia die Mutter eines meiner eigenen frühen Lieblingsgalopper war, der auf den Namen Kamiros hörte. Wie die Engländer so schön sagen: What’s not to like?
Rein optisch allerdings muss ich da eine kleine Einschränkung machen, denn wenn es nach dem Aussehen geht, hat es mir Kandia, sofern man alten Schwarz-Weiß-Aufnahmen in den Alben des Rennsports 1975 und 1976 trauen darf, nicht so recht angetan. Ein Riesenpferd mit einer kleinen unregelmäßig geformten Blesse mittig auf der Stirn, eindeutig mit einer gewaltigen Galoppade und jeder Menge Energie gesegnet, aber die Schönste war sie (ganz subjektiv geurteilt!) nicht. Es mag an den schmalen Augen liegen, die einen beim Betrachten der Bilder irgendwie zu verfolgen scheinen...
Zur Hochform lief Kandia, die im Besitz von Renate von Mitzlaff, der Frau des Trainers (auch Kandias Trainers!) Sven von Mitzlaff, stand, zwar erst drei- und besonders vierjährig auf, aber ihren ersten Lebensstart hatte sie schon früh als Zweijährige am 7. Juni 1974 - und damit nur eine knappe Woche nach meiner Geburt - in Köln gegeben. Ein ansprechender dritter Platz sprang bei diesem Versuch heraus. Zwei weitere Starts erbrachten ebenfalls Platzierungen, wobei Kandia, die in ihrer Rennlaufbahn überhaupt nur ein einziges Mal kein Geld nach Hause brachte, Ende August 1974 in Gelsenkirchen beinahe ihr erster Sieg gelungen wäre. Aber um einen kurzen Kopf hatte sie dann doch das Nachsehen.
So legte Kandia ihre Maidenschaft erst beim zweiten Anlauf des Jahres 1975 in Dortmund ab. Im weiteren Verlauf ihrer Dreijährigensaison erwies die Stute sich als äußerst beständig und lief wieder und wieder aufs Treppchen, wobei sie insgesamt vier Rennen gewinnen konnte. Die Anforderungen waren Schritt für Schritt gesteigert worden, und im Juli 1975 avancierte Kandia zur Gruppesiegerin, als sie das Ludwig-Goebels-Erinnerungsrennen in Krefeld überlegen nach Hause brachte.
Es kann wohl nur spekuliert werden, ob sie im Anschluss daran bei besserem Rennverlauf auch den Aral-Pokal hätte gewinnen können (mein Onkel kannte bezüglich dieser Frage keine Zweifel!), aber so kam ihr offenbar ein gewisser Stallgefährte namens Athenagoras (ausgerechnet!) drastisch in die Quere, so dass hinter Lord Udo und Marduk „nur“ ein dritter Platz heraussprang. Aber aufgeschoben war in diesem Fall eindeutig nicht aufgehoben... später dazu mehr. Zum Abschluss der Saison holte sich Kandia dann noch zwei zweite Plätze auf Gruppe-Level, bei denen sie zweimal hinter der Schlenderhanerin Idrissa, der anderen Top-Stute des Jahres 1975, knapp das Nachsehen hatte.
Nahtlos knüpfte Kandia im folgenden Jahr an die als Dreijährige gezeigten Leistungen an und erzielte unter wechselnden Jockeys in einer für ihren Stall sehr schwierigen Zeit erneut eine Reihe guter Platzierungen auf höchstem Leistungsniveau, ehe es dann am 15. August 1976 zum Rennen aller Rennen kam. An jenem Tag wurde wieder der Aral-Pokal in Gelsenkirchen ausgetragen, und wieder war neben Kandia, geritten von Erwin Schindler, auch Athenagoras mit Peter Alafi im Sattel am Start.
Der Hergang des Rennens muss nach allem, was mir berichtet wurde, spektakulär gewesen sein. Das Aufgalopp-Foto zu jenem Wettstreit ist eigentlich das einzige Bild von Kandia, auf dem sie mir wirklich optisch gefällt. „Macht Platz, heute bin ich endlich an der Reihe!“ so scheint ihr stolz überlegener Gesichtsausdruck zu verkünden. Die Wetter hatten sie zumindest zum Favoritenkreis gezählt, dabei aber dem aktuellen Derbysieger Stuyvesant und Athenagoras die etwas größeren Chancen eingeräumt. Was sich dann in Gelsenkirchen-Horst abspielte, ist Rennbahngeschichte geworden: Die Zielgerade hinunter gab es nur noch zwei Pferde mit Aussicht auf den begehrten Gruppe-I-Erfolg: Athenagoras und Kandia, die beiden Stallgefährten aus dem Quartier von Sven von Mitzlaff. Und am Ende hatte dann die Stute hauchdünn das bessere Ende für sich. Vier Kilo weniger hatte sie zu schleppen als Athenagoras, der an jenem Tag nach einigen wenig inspirierenden Rennen seinen Kampfgeist wiederentdeckt zu haben scheint, sich letztlich aber doch mit einem Hals geschlagen geben musste.
Es muss ein ausgesprochen emotionales Rennen für alle Beteiligten gewesen sein – nicht nur für Jockey Erwin Schindler, für den dies einer seiner allergrößten Erfolge im Rennsattel wurde, sondern sicher auch für Trainer und Besitzerin.
Errang mit Kandia einen seiner größten Erfolge: Jockey Erwin Schindler, hier nach seinem Sensations-Derbysieg 1982 mit Ako |
Am Ende der Saison ging Kandia dann in die Zucht, und auch dort erwies sie sich mit ihren überragenden Erbanlagen über Generationen hinweg als ausgesprochen durchsetzungsstark. Zu ihren direkten Nachkommen zählen neben dem bereits erwähnten späteren Gruppe-I-Sieger Kamiros auch der sehr gute Karos und die Klassestute Kallista (Mutter u.a. von Krombacher). Kandias Tochter Kardia fohlte neben dem hervorragenden Rennpferd Karakal besonders den heutigen Deckhengst Kalatos.
Kandias Enkel Kalatos als Deckhengst beim Erkunden seines neuen Standorts im Gestüt Harzburg |
Den mochte und mag ich sehr – schon seit seinen ganz frühen Rennbahntagen, so dass es wohl kaum verwunderlich ist, dass es mir neben seinem Sohn Palermo aktuell vor allem Ovambo Queen ziemlich angetan hat. Mal sehen, wie diese sich noch entwickeln wird!
Einfach eine tolle Stute: Kandias Urenkelin Ovambo Queen |
Und dann gibt es da ja auch noch eine gewisse Kazzia, die zur mehrfachen Gruppe-I-Siegerin emporstieg und damit sogar die großartigen Rennleistungen ihrer Urgroßmutter Kandia in den Schatten stellte. Man darf gespannt sein, ob sie ihr auch in der Zucht wird nacheifern können... Ihren Sohn Eastern Anthem haben wir ja in Deutschland 2009 bereits mehrfach im Galopp bewundern können, und der 2007 geborene Zeitoper war ein sehr talentierter Zweijähriger, der 2009 drei Siege einfuhr und als Höhepunkt den Prix de Conde gewann. Leider kam er 2010 gar nicht und inzwischen vierjährig nur einmal zu Jahresbeginn in Meydan an den Start, ist aber weiterhin für Godolphin im Training.
Und die Moral von der Geschichte? Nun, sollte irgendjemand irgendwann einmal die Zeitmaschine erfinden, werden die 1970er Jahre wohl mein erstes Reiseziel sein, um mir Kandia (und all die anderen tollen Pferde, die ich nur aus begeisterten und begeisternden Erzählungen kennen gelernt habe) selbst anzusehen. Träumen darf man ja sicher ein wenig...
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