Sonntag, 17. Juli 2011

Vor zehn Jahren: Derby unter Wasser

Genau zwei Wochen sind seit dem Derby 2011 nun schon wieder ins Land gegangen, und so hatten auch meine in Hamburg von den nicht gerade sommerlichen äußeren Bedingungen ziemlich durchweichten Füße inzwischen wieder ausreichend Zeit zum Trocknen. Das Abenteuer Hamburg ist sogar erstaunlicherweise völlig ohne Erkältung abgegangen, was vielleicht an dem innerlichen Glühen liegen könnte, mit dem ich am ersten Juli-Sonntag die Rückreise antrat, nachdem feststand, welches Pferd das wichtigste Rennen des deutschen Turfkalenders gewonnen hatte.


Mag auch Regen und weichen Boden: Waldpark, Derbysieger 2011

Waldpark… Mensch, was hat mich das gefreut. Genau genommen freut es mich immer noch, was Wurftaubes Söhnchen da für eine Glanzleistung vollbracht hat. Und live dabei gewesen zu sein statt das Rennen nur per Internet vom heimischem Schreibtisch aus zu verfolgen, hat die ganze Sache so richtig perfekt gemacht. Was genau ich da auf der matschigen Wiese veranstaltet habe, als mir auf einen Schlag kurz nach dem Einbiegen des Derbyfeldes in die Zielgerade klar wurde, dass der sympathische, kleine Sommernachtstraum an diesem Tag ohne Möglichkeiten war, dafür aber mein anderes insgeheim erhofftes Wunschpferd in bestechender Haltung außen nach vorne ging, weiß ich nicht mehr so recht. Allerdings flossen wenig später Tränen der gerührten Freude. Dass mir das mal auf einer Rennbahn passieren würde…

Aber warum eigentlich nicht? Schließlich ist Waldpark nicht nur ein mehr als würdiger Derbysieger, der mir schon bei seinem Auftritt in Baden-Baden im Derby-Trial gefiel und mich auch in Hamburg die gesamte Zeit über durch seine Gelassenheit beeindruckte, sondern ich verbinde mit seiner Familie eine Menge schöner Erinnerungen und Geschichten. Waldpark verkörpert quasi in idealer Weise genau das, was mich am Galopprennsport außer der unmittelbaren Spannung der gerade aktuellen Rennen ganz besonders fasziniert. Er ist lebendige Tradition auf vier sehr flinken und ausdauernden Beinen und zugleich jede Menge Hoffnung auf die Zukunft.

Was machen mir da schon ein paar nasse Füße?

Eigentlich – nichts...

Ohnehin sind wir am vergangenen Wochenende im Vergleich zu früheren Derby-Austragungen trotz allem noch einigermaßen glimpflich davongekommen, was die Wolkenbruchmenge angeht. Man denke da nur an die Schlammschlacht von 1978, an deren Ende Zauberer aus dem Gestüt Bona Derbysieger wurde. Außerordentlich anschaulich beschreibt Harald Siemen diesen Tag in seinem Derby-Buch so: „Um die Mittagszeit des 2. Juli 1978 hatte eines der erwähnten Tiefdruckgebiete ausgerechnet über der Horner Rennbahn seinen tiefsten Stand erreicht. Unaufhörlich goss es in Strömen vom Himmel, ein Landregen hüllte die Rennbahn in einen grauen Schleier und verwandelte das Geläuf bis zu dem als sechstes Rennen angesetzten Derby in einen Acker und das Schuhwerk der 25.000 Besucher, soweit es nicht aus Gummistiefeln bestand, in entsorgungsreifes Altleder.“

Und trotz allem war dies noch nichts im Vergleich zum Derby 2001, denn:


Es war einmal vor zehn Jahren…

… als das Deutsche Derby im wahrsten Sinne des Wortes beinahe in den Fluten einer durch ein orkanartikes Unwetter bedingten Überschwemmung ertrank, wie sie auch in Hamburg Seltenheitswert hatte. Wäre das Derby nur vierundzwanzig Stunden früher am Samstag statt am Sonntag zur Austragung gekommen, dann… ja, was dann? Wäre es dann nachgeholt worden? Hätte man es neu ausgeschrieben und für Seepferdchen geöffnet?

Zu derlei ziemlich albernen Scherzen wird den Verantwortlichen hinter den Kulissen der Derby-Woche 2001 allerdings sicher nicht zumute gewesen sein, denn was sich auf der Rennbahn in Hamburg-Horn am Vortag des geplanten Höhepunkts einer ansonsten bei sehr angenehmem Sommerwetter abgelaufenen Derbywoche ereignete, war weit mehr als nur ein schwerer Wolkenbruch. 

Wetterkarte Juli 2001 - Land unter in Hamburg und anderswo
Ganz plötzlich brach das Unheil über das Hamburger Rennbahnpublikum herein, das am 30. Juni 2001, dem Samstag vor dem Derby, gerade das fünfte Rennen der Tageskarte verfolgt hatte. Soll man im Namen des Siegers in jenem Ausgleich I, der Frühtau hieß und inzwischen auch als Deckhengst, wenn auch in der Ponyzucht, eingesetzt wird, ein feuchtes Omen sehen? Nein, das erscheint eindeutig überinterpretiert. Allerdings war es tatsächlich so, dass die Siegerehrung rund um das Team von Frühtau noch lief, als sich der Himmel über der Horner Rennbahn rasch und ausgesprochen dramatisch verdunkelte. Die dunkelgrau-schwarzen Unwetterwolken sahen überaus bedrohlich aus und brachten am eigentlich helllichten Tag Nachtstimmung über die Rennbahn, so dass den Anwesenden wohl auch ohne die Durchsagen des Rennbahnsprechers klar geworden wäre, dass sie sich besser einen wettergeschützten Platz suchen sollten.

Wenig später öffnete der Himmel seine Schleusen in ungeheuer dramatischer Art und Weise, und als das Unwetter sich nach rund einer Viertelstunde wieder verzog, war das Horner Moor zur Seenlandschaft geworden. Alles stand unter Wasser, stellenweise sogar so tief, dass Bierzeltgarnituren als Laufstege dienen mussten. Die schlimmsten Spuren hatte das Unwetter aber auf dem völlig durchweichten Geläuf hinterlassen, das Wassermassen in dieser extremen Größenordnung einfach nicht abführen konnte. Land unter in Hamburg-Horn!

Was sollte unter diesen Umständen aus den eigentlich für jenen Samstag noch geplanten fünf Rennen werden? Eine Inspektion des Geläufs, an der neben der Rennleitung auch Jockey Andreas Suborics beteiligt war, ergab ein niederschmetterndes Ergebnis: Nichts ging mehr – zumindest nicht an diesem Tag. Und so musste der restliche Renntag schweren Herzens nach der Hälfte der Veranstaltung abgesagt werden. Zuschauer, Besitzer, Aktive, Vierbeiner… sie alle mussten unverrichteter Dinge abziehen und konnten nur hoffen, dass sich die sintflutartigen Folgen des schweren Unwetters bis zum folgenden Tag, an dem das Rennen aller Rennen gelaufen werden sollte, zumindest noch etwas würden mindern lassen.

Ganz so arg wie bei der Überschwemmung der Rennbahn in Halle Anfang diesen Jahres hatte es die Hamburger zwar vor zehn Jahre nicht getroffen, doch am folgenden Sonntagmorgen ergab eine bange Überprüfung des Geläufs nach wie vor ausgesprochen matschige Verhältnisse und einen offiziellen Bodenwert von 5,9. Nicht gerade optimale Bedingungen also, außer man hatte zufällig ein als Sumpfhuhn geeignetes Pferd genannt, aber doch grundsätzlich machbar. Oder doch nicht?

Rennbahn richtig unter Wasser - Halle Februar 2001
Viele Trainer und Besitzer hatten hier zumindest Zweifel, und so sah sich der Hamburger Rennverein nach dem katastrophalen Samstag mit einer Welle neuer Hiobsbotschaften konfrontiert, als mehr als zwei Dutzend Pferde angesichts der Bodenwerte zu Nichtstartern erklärt wurden. Darunter befand sich zum Entsetzen der Verantwortlichen auch ein ganz besonderes Pferd – der Vorab-Favorit für das neunte Rennen, das Derby, ein Fährhofer Hengst namens Sabiango. Dieser Sabiango war bislang viermal am Start gewesen und hatte nur bei seinem Debüt als Dreijähriger in einem Hannoveraner Listenrennen eine Niederlage hinnehmen müssen. Abgesehen davon hatte er sich als dreifacher Sieger auszeichnen können, und spätestens nach seinem Erfolg im Union-Rennen hatte der von Andreas Suborics gesteuerte Sabiango sich seinen Favoritenrang unter den eigentlich angekündigten zwanzig Derbykandidaten redlich verdient.

Und nun sollte das Hamburger Hauptereignis ausgerechnet auf Sabiango verzichten müssen?
Die Enttäuschung über die Entscheidung von Andreas Wöhler wog verständlicherweise schwer, doch wenn man bedenkt, dass Sabiangos einzige Niederlage sich bei einem Bodenwert von 6,5 (schwer) abgespielt hatte, liegt auf der Hand, dass der Fährhofer mit solchen Verhältnissen einfach nicht zurechtkam. Und so war Sabiangos Abmeldung, die der Trainer auch zuvor schon gelegentlich angedeutet hatte für den Fall, dass die Bodenwerte nicht passen sollten, eben vor allem eins: konsequent!

So fehlte dem großen Rennen aber nun auch das symbolische Zugpferd. Gab es unter den nach einer weiteren Abmeldung noch verbliebenen achtzehn Kandidaten einen Starter, der diese Lücke füllen konnte?

Das wettende Publikum war sich uneinig, denn zu deutlich hatte Sabiango vorab die Erwartungen dominiert, und so gab es mehrere Pferde, die am Toto unter 100:10 standen, als es in die Startboxen ging. Allesamt entstammten sie großen Trainingsställen oder Gestüten, für die ein Derbysieg kein Neuland war: Barsetto als Steigenberger Vertreter, Limerick Boy aus dem erfolgsverwöhnten Quartier von Andreas Schütz, Krombacher im rot-weißen Ittlingen-Dress, Somotillo als „Ersatz“-Fährhofer, Iberus für Schlenderhan und Syrakus in den Röttgener Traditionsfarben… Sie alle hatten in den diversen Vorbereitungsrennen auf dem Weg zum Derby durchaus auf sich aufmerksam machen können, aber an Sabiangos Leistungen hatten sie nie recht herangereicht. Würde nun einer von ihnen die Abwesenheit des vermeintlichen Jahrgangsprimus nutzen und sich das Blaue Band sichern?

Um es kurz zu machen: Nein, keinem der oben Genannten gelang dies am 1. Juli 2001 in Hamburg-Horn. Der tatsächliche spätere Derbysieger trug allerdings auch traditionelle Farben eines führenden deutschen Gestüts, aber irgendwie hatten nur wenige Rennbahnbesucher den Hengstnamens Boreal aus dem Gestüt Ammerland  auf der Rechnung gehabt, und so kam es, dass der Derbysieger, der sich das Rennen letztlich locker mit anderthalb Länge Vorsprung vor den beiden noch viel größeren Außenseitern Lierac und Near Honor sicherte, seine Wetter am Toto mit einem dreistelligen Wert von 104:10 belohnte.


Warum hatte man ihn nicht stärker auf der Rechnung gehabt? Immerhin entstammte Boreal einer ausgesprochen erfolgreichen Familie, deren bisheriges züchterisches Glanzstück seine um vier Jahre ältere Schwester Borgia war, die ihm 1997 schon vorgemacht hatte, wie das ging mit dem Derbysieg. Auch Mama Britannia war eine sehr gute Rennstute gewesen. Überdies war Boreal eigentlich bei all seinen Starts nach dem auf Anhieb abgehakten Maidensieg immer vorne mit dabei gewesen, und auch sein dritter Platz im Union-Rennen (natürlich hinter Sabiango!) konnte sich sehen lassen. Weniger als eine Länge hatte die beiden Hengst, zwischen die sich noch Barsetto geschoben hatte dort getrennt.

Einen Vorteil gegenüber Sabiango hatte Boreal auf alle Fälle: Der mehr als weiche Boden in Hamburg-Horn machte ihm nicht das Geringste aus, und so profitierte er eben von der Abwesenheit des Fährhofers und tat es seiner illustren Schwester gleich, um Britannia zu einer jener seltenen Zuchtstuten zu machen, die gleich zwei Derbysiegern das Leben geschenkt haben. Nur vier Jahre nach Borgias Sieg war es so dank Boreal erneut ein ganz großer Tag für das Gestüt Ammerland.

Gewonnen! Derbyieger Boreal trotz Boden weich
Amüsantes Detail am Rande: In einem Artikel der Rheinischen Post, der vor dem Derbywochenende erschienen war, hatte sich Boreals Betreuer Peter Schiergen, für dessen noch junge Trainerkarriere dieser erste Derby-Treffer ein ganz wichtiger Erfolg war, so geäußert: "Etwas Regen wäre noch gut für uns."


Es wurde dann bekanntlich etwas mehr Regen... Petrus hatte zumindest aus dieser Perspektive gut zugehört und prompt reagiert.


Pressespekulationen vor dem Derby 2001


Die Frage, ob Boreal denn auch gewonnen hätte, wenn es das sintflutartige Unwetter am Derby-Vortag und somit die Abmeldung von Sabiango nicht gegeben hätte, ist natürlich vor zehn Jahren intensiv diskutiert worden. Alles in allem sieht es so aus als sei Sabiango, der weltweit drei Gruppe-I-Rennen gewinnen konnte, das etwas bessere Rennpferd gewesen. Oder doch umgekehrt?

Zwei weitere Mal begegneten die beiden Hengste sich auf der Rennbahn, und je eines dieser Zusammentreffen in Köln beziehungsweise Baden-Baden konnten Boreal und Sabiango im internen Duell für sich entscheiden. Vielleicht wäre es also gerechter, beide als ausgezeichnete Galopper zu bezeichnen, die später auf jeweils getrennten Pfaden auch international beweisen konnten, dass sie zu hohen und allerhöchsten Leistungen imstande waren. In Boreals Fall ist es natürlich vor allem sein spektakulärer Triumph im Coronation Cup 2002, als er auf Gruppe-I-Ebene in Epsom solchen Größen wie Marienbard oder Kutub locker das Nachsehen gab.

Boreal gewinnt den Coronation Cup 2002 -
und wieder war der Boden alles andere als abgetrocknet!
Nur logisch war es da, dass sein Heimatgestüt den schlammfesten Derbysieger des Jahres 2001 da als eigenen Deckhengst aufstellte, doch ähnlich wie seine Schwester Borgia erwies sich der Ammerländer auf diesem Gebiet leider als eine große Enttäuschung. Nur noch sehr bescheiden ist seine Decktaxe heute, noch bescheidener die Anzahl seiner bisherigen Nachkommen. Sie sind eben ein großes Rätsel, die Gesetzmäßigkeiten und Geheimnisse der Vollblutzucht. 


Sabiangos zweite Karriere im Gestüt, die sich nach einem Beginn in Frankreich nun wieder in seinem Heimatgestüt Fährhof abspielt, scheint hingegen zumindest etwas hoffnungsvoller zu verlaufen, wobei es nach ersten kleineren Erfolgen mit Pferden wie Perfect Son, Per Se oder Ostler sicherlich noch viel zu früh ist, um hier auch nur annähernd ein Urteil zu fällen.


Fest steht aber bereits jetzt: Im Vergleich zu den Vorkommnissen um das Sintflut-Derby vor zehn Jahren kann man die Verhältnisse, unter denen sich Waldparks Derbysieg in diesem Jahr ereignete, als regelrecht schönes Wetter bezeichnen. Wie gesagt – was machen schon ein paar nasse Füße, wenn man ein wirklich mitreißendes Derby live miterleben kann?

Genau – nichts!

1 Kommentar:

  1. Oops, ich habe gerade festgestellt, dass ich mich hier schon länger nicht mehr verewigt habe. Aber ich bin jetzt doch endlich mal zum Lesen gekommen. Schöner Bericht über die Wetterkapriolen und Boreal, der so gänzlich außerhalb meines bisherigen Blickfeldes lag ;) Übrigens, wenn du an einer minutiösen Schilderung der Vorkommnisse am 03.07.2011 in Hamburg interessiert bist, wende dich vertrauensvoll an mich ...

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