Mitten hinein in die Umzugspause dieses Blogs verbreitete sich vor vier Tagen über alle Medien hinweg in Windeseile die sehr traurige Nachricht vom Tod eines Mannes, der in Deutschland einen weit höheren Bekanntheitsgrad erreicht hatte als so manch ein Politiker oder vermeintlicher Prominenter. Vielleicht waren ja gerade eine gewisse vornehme Zurückhaltung und sein hintersinniger, augenzwinkernder, aber niemals laut polternder oder persönlich verletzender Humor, die Gründe dafür, dass die Meldung, Vicco von Bülow (alias Loriot) sei am 22. August 2011 im Alter von 87 Jahren friedlich in seinem Haus am Starnberger See gestorben, landesweit und über alle Generationen hinweg für große Betroffenheit sorgte.
Meine wohl erste Begegnung mit Figuren aus Vicco von Bülows kreativer Welt waren Wum und Wendelin, die ich kennen lernte, während ich mit meiner Oma den Großen Preis im Fernsehen guckte. Doch schon bald liebte ich auch Loriots typische Knollennasenmännchen, Herrn Klöbener und Herrn Müller-Lüdenscheidt mit ihrer Gummiente, eine Suppennudel, die Steinlaus und viele andere mehr. Seine im wahrsten Sinne des Wortes fein beobachteten Charakterzeichnungen und seine herrlich skurrilen Sprachspiele haben schon lange Kultstatus erreicht und können von vielen Menschen auswendig mitgesprochen werden.
Und dann sind da noch die beiden Herren von der Rennbahn, ein Profi-Bescheidwisser mit gelber Weste und blauer Krawatte, und der arme Ahnungslose, der schon mit der Benutzung seines Fernglases überfordert ist, aber immerhin begeistert erkennt, dass der Rasen schön grün ist. Eins der wohl bekanntestens Zitate aus diesem beliebten Loriot-Cartoon diente ja darum auch als Ideengeber, als ich damals nach einem guten Namen für meinen Blog suchte: "Ja, wo laufen sie denn? Ja, wo laufen sie denn hin?"
Ich habe diesen Sketch immer geliebt, unter anderem auch, weil er nicht einfach irgendwelche Fantasienamen für die zwei erwähnten Jockeys verwendet, sondern Reiter benannt werden, die es tatsächlich gegeben hat. Über den einen, Otto Schmidt, der im Sattel von Elektrola unterwegs ist (eine Stute mit diesem Namen, deren Pedrigree aber nicht leicht zu ermitteln ist, hat es 1926 tatsächlich gegeben), muss wohl kaum etwas gesagt werden, war er doch der vermutlich profilierteste und beliebteste, dazu auch noch ungeheuer erfolgreiche Jockey in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts.
Otto Schmidt - hier im Sattel von Ticino, nicht von Elektrola |
"Den können Sie wetten. Den können Sie wetten. Ich habe da ganz sichere Informationen. Wenn er will, wissen Sie, wenn er will, dann macht er's. Wenn nicht, dann will er gar nicht, ne. (...) Wenn er nicht macht, dann hat er nicht gewollt, oder er konnte nicht."
Aaaaah ja. Klar.
Tatsächlich hätte Otto Schmidt Ende der zwanziger Jahre jene Elektrola reiten können. Ob sie dann allerdings gegen Gänseblümchen angetreten wären? Das ist fraglich, denn die einzigen beiden Stuten dieses Namens, die sich in der DVR-Datenbank finden lassen, wurden erst wesentlich später (1951 als Tochter des Deckhengstes Olymp und 1980 von Dschingis Khan abstammend) gefohlt.
Aaaaah ja. Klar.
Tatsächlich hätte Otto Schmidt Ende der zwanziger Jahre jene Elektrola reiten können. Ob sie dann allerdings gegen Gänseblümchen angetreten wären? Das ist fraglich, denn die einzigen beiden Stuten dieses Namens, die sich in der DVR-Datenbank finden lassen, wurden erst wesentlich später (1951 als Tochter des Deckhengstes Olymp und 1980 von Dschingis Khan abstammend) gefohlt.
Aber immerhin - es hat Vollblüterinnen mit diesen Namen gegeben, und auch der Jockey, der im Sketch auf Elektrola über den grünen Rasen reitet, ist heute zwar nur noch wenigen Menschen bekannt und erreichte nie die gleiche Popularität wie sein Kollege Otto Schmidt, aber auch Anton Olejnik brachte es im Rennsattel während des Ersten Weltkriegs und in der ersten Hälfte der Weimarer Republik zu einer Reihe guter Erfolge. Zu nennen wären hier unter anderem der knappe Treffer im Union-Rennen 1918 in Hoppegarten mit Orilus oder im gleichen Jahr der Sieg im Bayerischen Zuchtrennen mit Eiffilo. Mit der Stute Orla holte sich Anton Olejnik den Preis der Diana 1920 und avancierte wenig später zum festen Reiter von König Midas aus dem Besitz von L. Lewin, mit dem er einige Siege und viele Platzierungen in herausragenden Rennen erzielen konnte. Nach Sieganzahl am erfolgreichsten gestaltete sich für den Jockey das Jahr 1922, denn da wurde er zum Jockey-Champion gekürt.
Bis zu seinem größten Erfolg musste Anton Olejnik jedoch noch ein wenig warten und zunächst die Rennstiefel an den Nagel hängen, denn was ihm als Reiter verwehrt geblieben war - ein Sieg im Deutschen Derby - gelang ihm dann 1928 in seinem neuen Metier als Trainer auf Anhieb, als sich der von ihm vorbereitete Hengst Lupus unter Everett Haynes das Rennen aller Rennen sicherte. Später wurde er Trainer der Pferde des Traditions-Gestüts Ebbesloh, für das er unter anderem solche Könner wie den Winterfavoriten Elritzling, die Diana-Siegerin Adlerfee oder Effendi vorbereitete, der sowohl das Henckel- als auch das Union-Rennen 1942 gewann.
Ebbesloher Rennfarben: Zu Zeiten des Trainers Anton Olejnik ebenso erfolgreich wie auch aktuell wieder |
Interessant ist im Hinblick auf den "Ja, wo laufen sie denn?"-Cartoon, dass Anton Olejnik als Trainer für seine Pferde fast immer auf die Dienste des berühmten Jockeys Otto Schmidt vertrauen konnte. War der 1923 geborene Loriot, mit dem der Sketch im Bewusstsein der meisten Deutschen fest verknüpft ist, also ein großer Freund des Galopprennsports, der sich auch in der Turf-Historie so hervorragend auskannte, dass er die Namen der Reiter für den Text bewusst und sachkundig auswählte? Hatte er die Herren Olejnik und Schmidt (und vielleicht auch die Stuten Elektrola und Gänseblümchen?) möglicherweise in den Jahren seiner Kindheit, die er in Berlin verbrachte, ehe er im Alter von vierzehn Jahren mit seinem Vater nach Stuttgart zog, selbst in Hoppegarten am Start erlebt?
Die verfügbaren Biographien Vicco von Bülows geben keinen Aufschluss darüber, ob er ein Rennbahnbesucher war, doch gibt es auch so eine einleuchtende Erklärung für die Wahl der Jockey- und Pferdenamen. Es war nämlich gar nicht Loriot selbst, der den Text zu diesem im Rennsport wohl bekanntesten Werk des Komödianten verfasste. Vielmehr lieferte er mit seinen charakteristischen Knollennasenmännchen "nur" die Bilder zu einer Tonaufnahme aus dem Jahre 1946, die der aus Einbeck stammende Kabarettist Wilhelm Bendow gemeinsam mit dem Schauspieler und Conferencier Franz-Otto Krüger unter dem Titel "Auf der Rennbahn" aufgenommen hatte. Schon 1926 hatte Bendow, dessen künstlerisches Wirken sich vor allem (reiner Zufall?) in den Rennbahn-Städten Hamburg und Berlin abspielte, mit einem anderen Humoristen namens Paul Morgan ein Tondokument namens "Rennbahngespräche" aufgenommen - und da wären wir wieder genau in jener Zeit, in der die Jockeys Olejnik und Schmidt hochaktuell, äußerst erfolgreich und somit wohl mit Bedacht ausgewählt wurden.
Aktuell sogar als Briefmarke erhältlich: "Ja, wo laufen sie denn...?" |
Teilweise ist Vicco von Bülow in den Presse-Nachrufen der vergangenen Tage fälschlicherweise auch mit der Textgrundlage des berühmten Sketches verknüpft worden. So intensiv ist uns heute die aus seiner Feder stammende Zeichentrickversion wohl vertraut, dass wir bei der Phrase "Ja, wo laufen sie denn..." automatisch an Loriot denken. In Vergessenheit wird er sicher lange nicht geraten. Und das ist auch gut so.
Vielen Dank, Loriot. Es war ein Vergnügen!
Sehr schön,
AntwortenLöschenwenn jetzt noch erwähnt worden wäre, dass besagter Trainer Anton Olejnik 1928 seinen Derbysieg mit Lupus für die Brüder Leo und Walter Sklarek erzielt hat, wäre die Anekdote noch verrückter und abgerundeter gewesen. Den drei Brüders Sklarek wurde 1929 der Prozess als Betrüger großen Stils gemacht, der Rennstall war am Ende, dafür war der politische Skandal in der ausgehenden Weimarer Republik ungeheuer.