Seit gestern Nachmittag steht fest, welcher Zweijährige mit dem ebenso ehren- wie hoffnungsvollen Titel des Winterfavoriten 2011 (hoffentlich gut!) überwintern darf. Tai Chi hat das große Rennen in Köln-Weidenpesch gewonnen und damit zumindest mich doch einigermaßen überrascht. Aber ein würdiger Sieger ist er dennoch, und mit seinem Erfolg setzt er eine lange Serie fort, denn seit über dreißig Jahren wurde diese wichtige Prüfung für den Rennbahn-Nachwuchs stets von einem Hengst gewonnen. Bis ins Jahr 1980 muss man zurückgehen, um mit der Röttgenerin Anna Paola eine Winterfavoritin statt eines Winterfavoriten zu finden. Und wiederum genau zehn Jahre vor dieser Stute, die im folgenden Jahr immerhin den Preis der Diana gewinnen konnte, hatte es bereits schon einmal eine Winterfavoritin in den traditionellen Röttgener Rennfarben gegeben. Ihre Geschichte, die am 17. Oktober 1970 einen Höhepunkt erreichte, habe ich vor einem Jahr bereits aufgeschrieben. Hier folgt die leicht überarbeitete Version:
Es war einmal vor 41 Jahren
Sie war eine kleine Hübsche mit einer interessant geformten, langen Blesse, eine, die auf den erhaltenen Schwarz-Weiß-Bildern mit augenscheinlicher Begeisterung und viel Engagement galoppiert und dabei weit die Ohren spreizt… und sie hatte einen äußerst amüsanten Namen: Widschi.
Winterfavoritin Widschi auf dem Weg zum Sieg |
Am 17. Oktober 1970, gewann Widschi für ihr Heimatgestüt Röttgen das Rennen, das gestern Nachmittag wieder in Köln ausgetragen wurde, und avancierte zur… nun ja, zur Winterfavoritin, einer Ehre, die nur wenigen zweijährigen Stuten bislang zuteil wurde. Üblicherweise geben nämlich die Hengste in dieser hochrangigen Traditionsprüfung für zweijährige Hoffnungsträger den Ton an. Auch im Jahre 2011 war das nicht anders, denn es kam überhaupt keine Stute an den Start. Seit Widschis Sieg hat es ihr auch erst eine Geschlechtsgenossin gleichgetan, nämlich Anna Paola, ebenfalls eine Röttgenerin, die das Rennen 1980 gewinnen konnte.
Mit ihrem Kölner Sieg, der gegen den späteren Derby-Sieger Lauscher und den Hengst Naipur (im folgenden Jahr Vierter im Derby) ausgesprochen komfortabel ausfiel, trat die kleine Widschi zudem in die Fußstapfen ihres Vaters Dschingis Khan, der 1963 bereits zum Winterfavoriten avanciert war. Mitte der Geraden, so vermerkt es das Album des Rennsports, hatte sich eine Lücke aufgetan, Widschi – gesteuert von keinem Geringeren als dem großen französischen Jockeyidol jener Tage Yves Saint-Martin – hatte sie genutzt und war dem Feld rasch enteilt.
Röttgen - Heimat von Widschi, Anna Paola und vieler anderer ausgezeichneter Rennpferde |
Und dabei war die Siegerin, die im Absattelring von der in einen kostbaren Pelz gehüllten Maria Mehl-Mülhens liebevoll gestreichelt wurde, eigentlich gar nicht die große Hoffnung des Gestüts für die Zweijährigensaison gewesen. Diese Rolle kam einem Hengst namens Guardi zu, der auch nicht enttäuscht hatte, aber kurz vor dem Winterfavoriten wegen eines warmen Beins im Stall bleiben musste. So musste eben Widschi in die Bresche springen und bekam dann auch den französischen Star-Jockey in den Sattel gehoben.
Widschis Reiter Jockey-Idol Yves Saint-Martin, hier im Sattel von Allez France |
Die Stute hatte zu jenem Zeitpunkt bereits eine recht ambitionierte Saison hinter sich gebracht, obwohl sie erst am 21. Mai 1968, und damit vergleichsweise spät im Jahr, das Licht der Welt erblickt hatte. Sie war so früh wie überhaupt nur möglich für eine Zweijährige, nämlich im Versuchsrennen der Stuten im Juni 1970 in Köln, debütiert, hatte gleich gewonnen und sich auch bereits das renommierte Sierstorpff-Rennen in Dortmund und das Horster Criterium an die Fahnen geheftet. Einzig im Ratibor-Rennen hatte sie sich nicht platzieren können, und im Preis der Winterkönigin fehlte ihr lediglich eine Halslänge, um diesen beeindruckenden Resultaten noch einen weiteren Sieg hinzuzufügen. Der Start im Preis des Winterfavoriten bedeutete so aber für die Zweijährige bereits den sechsten (!) Rennbahnauftritt. Da kann nicht einmal der Winterfavorit des Jahres 2011 Tai Chi, der es immerhin auf fünf Rennen brachte, von denen er vier gewinnen konnte, konkurrieren.
Zu viel, zu früh? Darüber kann man natürlich höchstens spekulieren. Nach dem Preis des Winterfavoriten bezog Widschi jedenfalls Winterquartier und meldete sich gleich beim folgenden Rennen am 23. Mai 1971 in Gelsenkirchen-Horst mit einem erneuten Sieg zurück. Die Stute, nunmehr klassische Siegerin, denn dieses Rennen war keine geringere Konkurrenz als das Henckel-Rennen gewesen, hatte offenbar nichts verlernt. Ihr beträchtlicher Anhang konnte also weiterhin größte Hoffnungen auf die Dreijährigen-Saison der Röttgenerin hegen. Von Guardi, ihrem Stallgefährten, der noch deutlich besser gewesen sein soll als sie, sprach man 1971 nicht mehr.
Allerdings war auch Widschi nach ihrem triumphalen Jahresdebüt kein Rennbahn-Glück mehr beschieden. Im Gegenteil… Sie war plötzlich immer wieder krank und fieberte, so dass zwei geplante Starts auf höchster Ebene im Union-Rennen und im Preis der Diana abgesagt werden mussten.
Erst im Deutschen Derby am 4. Juli 1971 bekam das Rennbahnpublikum Widschi wieder zu Gesicht, und ihre Stellung als zweite Totofavoritin hinter dem Union-Sieger Florino mit 48:10 verdeutlicht das große Vertrauen, dass die Wetter trotz der vergleichsweise langen Pause in die fantastische Stute setzten.
Derbysiegerin wurde Widschi jedoch nicht. Diese Ehre ging an Lauscher, den sie bereits im Preis des Winterfavoriten geschlagen hatte. Die Stute kam, nachdem sie sich beim Start den Kopf gestoßen und verspätet abgesprungen war, weit hinter dem Sieger ins Ziel, hatte aber noch eine große Aufholjagd gestartet, so dass sie sich immerhin auf den zwölften Platz im Siebzehnerfeld vorkämpfte. Das aber war wohl zu viel für sie gewesen, denn unmittelbar nach dem Zieleinlauf ereignete sich im Horner Bogen ein dramatischer Zwischenfall, als Widschi urplötzlich wie ein Stein zu Boden ging. Das heftig bewegte Publikum, das den Vorfall aus nächster Nähe beobachten konnte, musste denken, dass die Stute tot war, denn sie bewegte sich zunächst lange nicht und gab auch keine Lebenszeichen von sich. Für zusätzliche Entrüstung sorgte noch die Tatsache, dass in all der Aufregung nach dem gerade erst entschiedenen Derby der Tierarzt lange auf sich warten ließ, ehe er sich um Widschi kümmern konnte.
Schließlich – und zur unendlichen Erleichterung der vielen besorgten Zuschauer – stand Widschi doch wieder auf und ließ sich führen. Dennoch dauerte es sehr lange, bis sie wieder gesund wurde. Eine Rennbahn hat die Röttgenerin anschließend nicht mehr betreten können, und so betitelte das Album des Rennsports Widschi auch als „Klasse-Stute ohne Glück“. Diese Charakterisierung blieb ihr leider auch in ihrer wenig erfolgreichen Zucht-Karriere i n ihrem Heimatgestüt treu. Widschi, in deren mütterlicher Linie sich so erfolgreiche Rennpferde wie Woge, Wicht und Waldcanter finden, brachte es nur auf eine Handvoll Fohlen, von denen keines auch nur entfernt an ihre Glanztaten auf der Rennbahn anknüpfen konnte.
Auf der Rennbahn aber, damals vor einundvierzig Jahren, war sie die Größte gewesen!
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