Mit dem Frühlingsbeginn ist das ja so eine Sache… Wenn ich gegenwärtig auf den
Schneeregen schaue, der vor meinem Fenster seit mehreren Stunden beharrlich zur
Erde fällt, und an die eisige Wettervorhersage für die kommenden paar Tage
denke, dann sind wir zumindest in diesem Jahr vom Frühlingsanfang noch ein
ganzes Stück weit entfernt. So ist es auch nicht weiter verwunderlich, dass das
DVR – sollte der Winter tatsächlich noch einmal die befürchtete Ehrenrunde
drehen – für den kommenden Sonntag einen Ersatzrenntag auf Sand in Dortmund
ausgeschrieben hat. Und dabei hatte sich so langsam doch wirklich schon die
Vorfreude auf den Start in die grüne Saison im Krefelder Stadtwald
breitgemacht.
Momentan
bleibt leider nur Abwarten und Hoffen, dass das Wetter uns doch nicht ganz so
eisig mitspielt. Ein wenig Geduld wird es früher oder später schon richten… und
immerhin haben wir ja heutzutage die Sandbahnrennen in Dortmund und Neuss als
Überbrückung. Man mag ja über den sportlichen und finanziellen Wert dieser
Veranstaltungen intensiv diskutieren können, aber als es diese Sandbahnen in
Deutschland noch nicht gab, war im Winter – meistens ab Silvester – eben
einfach für drei Monate Galoppsport-Pause, ehe es irgendwann im März mit der
neuen grünen Saison weiterging.
WENN
es dann aber irgendwann endlich wieder auch auf Gras heißt „Boxen auf!“, sind
Spannung und Vorfreude verständlicherweise besonders groß. Und wie in jedem
Jahr kreisen die Fragen dabei im Hinblick auf die sportlichen Highlights
natürlich vor allem um die dreijährigen Hengste und Stuten, die im Frühjahr ihr
Saison- oder gar Lebensdebüt geben. Oft verstreichen allerdings drei bis vier
Frühlingswochen, ehe die wirklich – oder vermeintlichen! – Stars des Derbyjahrgangs
wirklich zum ersten Mal an den Start kommen. Spätestens im April ballen sich
dann aber die Rennen, in denen sich oft gleich mehrere der hoffnungsvollen
Dreijährigen aus den großen deutschen Trainingsquartieren begegnen. Vom
Rennbahnpublikum werden diese Konkurrenzen natürlich mit besonderer
Aufmerksamkeit verfolgt, denn vielleicht bekommt man ja hier schon den
künftigen Derbysieger oder die Erste im Preis der Diana zu sehen!
Manchmal
allerdings ist es gar nicht nötig, so lange zu warten, bis die ersten richtigen
„Stars“ über den grünen Rasen galoppieren. Das kann nämlich durchaus auch
bereits im März an den ersten Grasbahnrenntagen der Fall sein, wie die beiden
heutigen Beispiele belegen. Vor vierzig Jahren konnten nämlich schon eine Dreijährige
auf der Rennbahn bewundert werden, die später noch groß von sich reden machen
sollte. Ihr Saisondebüt als Dreijährige hat sie auch gleich auf Anhieb gewonnen
– und bei diesem einen, noch vergleichsweise harmlosen Treffer sollte es nicht
bleiben.
Vierzig Jahre ist es heute auf den Tag genau her, als anno 1973 in Krefeld am 10. März der dritte Grasbahnrenntag gestartet wurde. Es war ein Samstag, und die Karte eröffnete mit einem Rennen für Amateurinnen, das von Golden Berry unter Gisela Herzog gewonnen wurde. So weit, so gut, so normal für diesen frühen Zeitpunkt im Frühjahr. Alles noch nicht besonders bemerkenswert…
Richtig
spannend wurde es dann aber im vierten Rennen des Tages, als über noch relativ
kurze 1400 Meter im Preis vom Niederrhein eine Stute an den Ablauf kam, die –
obwohl sie zweijährig bei ihrem zweiten Start gleich gewonnen hatte – von den
Wettern nur als dritte Favoritin eingestuft wurde. Sie hieß Oraza, war von
Manfred Ostermanns Vater Fredi gezogen worden und später in den Besitz des
Stalls Rosenau gewechselt. Für diese Besitzer war sie auch bereits als
Zweijährige 1972 am Start gewesen – und zwar genau in zwei Rennen, die sich
beide ebenfalls in Krefeld abspielten. Nach einem unauffälligen Debüt Ende
September war Oraza hier zwei Monate später im November 1972 auch der erste
Sieg gelungen – überlegen mit fünfeinhalb Längen gegen die Zoppenbroicherin
Freudenau, wie der Zielrichter notierte.
Diese
vielversprechende Form hatte Oraza ganz offenkundig mit über den Winter nehmen
können, und so passierte die von Georg Zuber in Neuss trainierte Tochter des
Deckhengstes Zank dann auch gleich beim ersten Versuch 1973 erneut als Erste
den Krefelder Zielspiegel. Wieder saß Jockey Wolfgang Wickert, für den 1973 die
sportlich mit Abstand erfolgreichste Saison seiner Karriere wurde, im Sattel
der Stute.
Georg Zuber - Trainer von Oraza in Neuss |
Es
war im besten Sinne des Wortes ein gelungener Aufgalopp in die
Dreijährigensaison von Oraza, denn kaum einen Monat später konnte Oraza in
Düsseldorf den Treffer auf Anhieb bestätigen, als sie – nun auf der etwas
längeren Meilendistanz und mit einem Kilo Siegaufgewicht – erneut gewann. Es
war wohl ein kluger Schachzug, ausgerechnet dort an den Start zu gehen, denn
nun kannte die Stute nach ihren drei Krefelder Starts auch die ja grundsätzlich
anders gestaltete Bahn auf dem Grafenberg. Und so erschien es beinahe
folgerichtig, dass Oraza Mitte Mai – nunmehr in der Königinnenklasse der
dreijährigen Stuten angekommen – im Schwarzgold-Rennen bereits ihren vierten
Erfolg in Serie feiern konnte. Bei dieser Gelegenheit hielt sie mit der
ausgezeichneten Schlenderhanerin Sheba auch eine Altersgenossin von ganz hohem
Format leicht in Schach. Diese Sheba, die später als Zuchtstute drei so enorm
erfolgreiche Nachkommen wie Steuben, Solo Dancer und Shepard brachte,
duellierte sich 1973 übrigens gleich mehrfach auf hoher und höchster Ebene mit
Oraza.
Anders
als heutzutage, wo ja auch der Preis der Diana in Düsseldorf ausgetragen wird,
dies aber erst Anfang August, mussten die dreijährigen Stuten damals bereits
recht früh in der Saison, nämlich am Pfingstwochenende Ende Mai oder Anfang
Juni, topfit sein, wollten sie sich auf dem Raffelberg in Mülheim auch noch den
Preis der Diana an die Fahnen heften. Natürlich versuchte man es nach dem
fulminanten Saisonauftakt mit Oraza auch hier über eine mit 2100 Metern
deutlich längere Distanz.
Trotz
ihrer 1973 noch blütenreinen Weste trauten die Wetter der Sache noch nicht so
ganz und kürten Sheba an Stelle von Oraza zur 21:10-Favoritin. Sie sollten
falsch liegen, denn die Stute des Stalles Rosenau gewann erneut und kam – mit der
Bona-Vertreterin Oktavia quasi als „Puffer“ – wiederum deutlich vor Sheba ins
Ziel. Beinahe drei Längen lagen am Ende zwischen Oraza als Siegerin und der
Diana-Dritten Sheba. Der Titel der Stutenkönigin 1973 schien eindeutig
vergeben.
Danach
musste Oraza nach den Informationen aus dem Album des Rennsports 1973 eine
kleine Zwangspause hinnehmen, so dass man sie erst im Rahmen der Großen Woche
in Iffezheim wieder am Start sah. Hier sollte sie nun im Fürstenberg-Rennen als
einzige Stute erstmals gegen die Konkurrenz der Hengste antreten. Ein Sieg
wurde es nicht gleich wieder, aber als Vierte zog Oraza sich mehr als achtbar
aus der Affäre und verdiente gleich wieder Geld. Dass sie vielleicht noch nicht
wieder die „alte“ Oraza war, zeigte sich beim folgenden Start im Neusser
Herbst-Stuten-Preis. Auf ihrer Heimatbahn musste Oraza sich hier der
Schlenderhanerin Sheba, die sie ja zuvor zweimal deutlich besiegt hatte, mit
einem doch schon deutlichen Abstand von sechs Längen geschlagen geben.
Doch
noch war das letzte Wort nicht gesprochen. Einen weiteren Start sollte Oraza in
der Saison 1973 noch absolvieren, ehe es für sie in die Zucht ging. Zu diesem
Zweck begab sich das Team nach Bremen, wo der Deutsche Stutenpreis über weite
2400 Meter auf dem Programm stand. Und Oraza hatte offenbar zu alter Form
zurückgefunden, denn sie fertigte hier genau wie im Juni in Mülheim die
Bona-Stute Oktavia locker ab und sicherte sich den sechsten Sieg ihrer
Laufbahn. Sheba sah man hier nicht am Start, denn mit der Schlenderhanerin war
man in der Distanz deutlich zurückgegangen und hatte in München Mitte Oktober
den Bayern-Preis über 1300 Meter bestritten und gewonnen – ebenfalls ein
überlegener Treffer mit sieben Längen Vorsprung.
So
fällt es am Ende nicht ganz leicht zu entscheiden, welche der beiden
hervorragenden Stuten Oraza oder Sheba denn 1973 nun die Allerbeste war.
Wahrscheinlich hat Oraza aber alles in allem die Nase vorne. Fest steht ganz
sicher aber, dass die Rennbahnbesucher 1973 schon sehr zeitig im Jahr in den
Genuss kamen, eine richtig, richtig gute Dreijährige am Start erleben zu
dürfen. Ob dies vierzig Jahre später 2013 wieder der Fall sein wird? Man wird
diese Frage erst später im Jahr beantworten können, aber genau von dieser
Spannung lebt der Rennsport ja ganz maßgeblich.
Bald wieder auf Gras... |
Also:
Wann geht es endlich wieder richtig los?